Wintermord
ungute Gefühl, dass sie etwas von ihm wollte, also murmelte er schnell etwas, was sich als Zustimmung interpretieren ließ.
Nachdem er gründlich über ihre Unterhaltung nachgedacht hatte, ging er zu Ann-Christine Östergren und erklärte, er sei ebenfalls froh, Karin Beckman im Team zu haben. Aber dass er sie niemals in erster Linie als Frau betrachte, sondern eben als Polizistin.
»Und zwar eine verdammt gute.«
Seine Vorgesetzte arbeitete an der Vorbereitung ihrer jährlichen Statistiken, doch nun wurde ihr konzentrierter Gesichtsausdruck weich, und sie lächelte. »Prima, Christian. Genau das wollte ich hören.«
Während Tell in sein Büro zurückging, fühlte er sich, als hätte ihm die Grundschullehrerin die beste Betragensnote eingetragen, ohne dass er richtig begriff, wie es dazu gekommen war.
Als Karin Beckman an die Tafel klopfte, wurde er jäh in die Wirklichkeit zurückgerissen. In der Mitte war ein Polaroidfoto von Lars Waltz befestigt.
»Ich hab einiges über ihn in Erfahrung gebracht. Er ist 1961 in Göteborg geboren, genauer gesagt in Majorna. Seine Eltern ließen sich scheiden, als er ungefähr zehn war, danach hatte er kaum noch Kontakt zu seinem Vater. Finanzielle Lage ziemlich angespannt, die Mutter arbeitete als Nachtschwester im Sahlgrenska-Krankenhaus. Er hat noch einen älteren Bruder ...«
Sie nahm die Brille ab und blätterte in ihren Papieren. »Genau, hier: Sten Roger Waltz, genannt Sten. Er ist sieben Jahre älter und wohnt in Malmö. Junggeselle, keine Kinder. Die Brüder hatten keinen Kontakt.«
»Wer setzt sich mit Sten in Verbindung?«, wollte Tell wissen.
»Ich hab schon mit ihm gesprochen. Er hat bestätigt, dass sie kaum Kontakt hatten, aber natürlich war er trotzdem sehr schockiert. Allerdings wollte ihm spontan niemand einfallen, der seinem Bruder nach dem Leben getrachtet haben könnte. Er glaubt nicht, dass er uns eine große Hilfe sein kann.«
»Sehr gut, Karin. Wir setzen einfach an einer anderen Stelle an, später können wir uns immer noch überlegen, ob wir trotzdem noch mal nach Malmö fahren. Was ist mit der Mutter, wohnt die noch in Göteborg?«
»Nein, sie ist schon vor ein paar Jahren gestorben.«
»Sprich weiter.«
»Er besuchte die Karl-Johans-Schule, danach das Schiller-Gymnasium. Nach dem Abitur nahm er sich ein Jahr Auszeit und lebte auf einer Schaffarm in Australien. Danach hat er alle möglichen Jobs gemacht, unter anderem in einer Kfz-Werkstatt. Er hat ein paar Kurse gemacht, Marketing, dann mehr in künstlerischer Richtung, eine einjährige Fotografenausbildung. Nach ein paar Jahren als Art Director bekam er als Dreißigjähriger gesundheitliche Probleme mit der Bildschirmarbeit und war anderthalb Jahre krankgeschrieben.«
Karin Beckman zeichnete eine windschiefe Linie an die Tafel und beschriftete sie mit wichtigen Daten aus Lars Waltz’ Leben.
»Und dann lernte er Lise-Lott Edell kennen«, schloss Bärneflod. Wie um zu demonstrieren, dass sie damit in der Gegenwart angekommen waren, ließ er seinen Stift auf die Tischplatte fallen, als hätte er sich bis dahin fleißig Notizen gemacht.
»Vorher war er auch schon verheiratet. Über alles, was vor ihrer Zeit war, weiß Lise-Lott nicht so gut Bescheid. Sie kannte ihn erst seit sechs, sieben Jahren. Er hat Anfang der Neunziger einen Bildband herausgegeben und arbeitete an einem zweiten, mit Fotos von der Gegend um ihren Hof, wo die Landwirtschaft langsam stirbt. Das Ganze aus einer umweltschützerischen Perspektive. Jedenfalls hat er die Autowerkstatt nebenbei betrieben, um sich das Fotografieren leisten zu können. Ab und zu hat er Aufträge von der Gemeinde Lerum bekommen, Infobroschüren und so was.«
Sie schrieb Gemeinde Lerum neben den Kreis mit den Jahreszahlen 2000–2006.
»Das nennt man wohl ›Mindmap‹«, bemerkte Bärneflod griesgrämig und griff zum Stift, um seine eigenen Aufzeichnungen fortzusetzen.
»Offenbar gab es da einen Konflikt zwischen Waltz und seinem Auftraggeber bei der Gemeindeverwaltung«, fügte Tell hinzu.
Karin Beckman nickte. »Genau. Aber Lise-Lott meinte, die Sache wäre längst erledigt.«
»Du redest mit ihm, Bengt«, bestimmte Tell und zeigte auf Bärneflod. Der wiederum zeigte auf seine Uhr, doch Tell ließ keinen Zweifel daran, dass er die Arbeit nicht zugunsten der 10-Uhr-Kaffeepause unterbrechen würde.
»Und, was gibt’s sonst noch? Da sind doch noch eine Ex-Frau und Kinder?«
»Eine Ex-Frau und zwei fast erwachsene Kinder.«
»Die
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