Wintermord
Gegenseitigkeit.
Bärneflod fuhr um die Solkatten-Galerie und den Marktplatz mit seinen beigen und pastellgrünen Farben und Ladenschildern aus einer Zeit, als Leuchtreklame noch neumodischer Kram war.
Mit einer gewissen Selbstgefälligkeit parkte er sein Auto und legte deutlich sichtbar einen handgeschriebenen Zettel mit der Aufschrift »Polizei im Einsatz« hinter die Windschutzscheibe seines Privatwagens. Das dürfte die Politessen abschrecken.
»Per-Erik Stahre empfängt sie, sobald es ihm möglich ist.«
Die Empfangsdame hatte vergessen, ihren Strickschal abzunehmen. Wahrscheinlich hatte sie, ebenso wie Stahre, ihren gerade begonnenen Feierabend abbrechen müssen, um der Polizei zur Verfügung zu stehen.
Es ärgerte Bärneflod, auf einem schäbigen Rathauskorridor auf diesen Wichtigtuer von einem Beamten zu warten, der sich wohl genötigt gesehen hatte, das Machtgefälle wiederherzustellen. Bärneflod schnipste gereizt mit den Fingern.
Die Sekretärin surfte im Internet. Wahrscheinlich chattete sie mit irgendwelchen Typen, das machten heutzutage ja auch die hübschen Mädchen. Zu seiner Zeit hatten nur die hässlichen Kontaktanzeigen in die Zeitung gesetzt.
Über ihrem Kopf hing eine große Uhr, deren Sekundenzeiger Bärneflod langsam aber sicher in den Wahnsinn trieb.
Irgendwann stand er abrupt auf. »Wie gesagt, es geht hier um eine polizeiliche Ermittlung. Könnten Sie mir bitte sagen, wo das Büro von Per-Erik Stahre ist?«
Es vergingen ein paar Sekunden, während die Finger des Mädchens über die Tastatur huschten. Schließlich klickte sie auf »Senden« und wandte sich Bärneflod zu. »Wie gesagt, er ist beschäftigt.«
Rotzgöre.
»Wie gesagt, darauf kann ich keine Rücksicht nehmen.«
Sie verdrehte tatsächlich die Augen, dann stand sie auf und trippelte mit klappernden Absätzen an Bärneflod vorbei über den Linoleumboden des Korridors. Geistesgegenwärtig lief er ihr nach und stand im nächsten Moment vor Stahre, der an einem runden Tisch neben einer Frau mit feuerrotem Haar saß. Er war überraschend jung – Bärneflod hatte einen alten Kauz erwartet.
»Ich bin beschäftigt ...«
»Bengt Bärneflod, Polizei. Es geht um einen Mordfall.«
Er hielt ihm seine Dienstmarke vor die Nase.
Zum zehnten Mal innerhalb einer halben Stunde warf Stahre einen Blick auf die Uhr und trommelte mit den Fingern auf sein aufgeschlagenes Filofax. »Die Sache ist sicher sehr verstörend, aber ich begreife nicht, wie ich Ihnen in dieser Angelegenheit behilflich sein könnte.«
»Sie hatten mit Lars Waltz zu tun, und ich versuche, mir ein Bild von ihm zu machen. Es gibt Leute, die behaupten, dass Waltz und Sie zerstritten waren.«
»Das ist doch lächerlich! Ich stand eine Weile mit Waltz in Kontakt, weil er ein paar Aufträge für Fotoarbeiten von der Gemeinde bekommen hat, das ist alles.«
»Eine ziemlich lange Weile, wenn ich das richtig verstanden habe.«
»Ja, ein paar Jahre. Es ging aber nur um kleine Aufträge. Kann sein, dass Lars Waltz bei unseren letzten Gesprächen wütend geworden ist, aber es würde zu weit gehen, wenn man behaupten wollte, wir hätten uns zerstritten.«
Bärneflod nickte nachdenklich. »Warum ist Waltz denn wütend geworden?«
Stahre blickte aus dem Fenster, als würde er überlegen, ob er die kurze oder die lange Version der Geschichte erzählen sollte. »Ich habe unsere Zusammenarbeit zugunsten eines anderen Fotografen eingestellt.«
»Er ist gefeuert worden?«
»Nein!«
Stahre schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Er war Freelancer! Er war nicht hier angestellt. Es stand mir frei, mir einen anderen Fotografen zu suchen, der für meine Zwecke besser geeignet war.«
»Aber hier ging es doch nicht um einen einzelnen Auftrag. Sie haben doch selbst gesagt, dass Sie die Zusammenarbeit mit Waltz eingestellt haben.«
Stahre seufzte. »Wenn ich ehrlich sein soll, dann war Lars Waltz als Fotograf einfach nicht gut genug, um diesen ganzen Stress zu rechtfertigen.«
»Stress?«
»Er war ziemlich eigen. Es fällt mir nicht leicht, schlecht über einen Verstorbenen zu sprechen, sonst hätte ich das gleich erwähnt.«
»Wenn alle so argumentieren würden wie Sie, Herr Stahre, dann könnten wir unseren Job überhaupt nicht machen. Also, raus mit der Sprache, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.«
»Er war so impulsiv. Die Probleme in der Arbeit verbuchte er unter ›künstlerischer Freiheit‹, und er hatte grundsätzlich schlechte Laune. Jedenfalls bei der Arbeit, wie
Weitere Kostenlose Bücher