Wintermord
wieder nach Hause kam und das Leben so weiterging wie bisher.
Sie war zwar kompetent in ihrem Job, aber ansonsten unfähig, auf eigenen Beinen zu stehen. In Sachen Liebe hatte sie sich schon immer so erlebt.
Das Handy in ihrer Handtasche klingelte. Sie lief auf den Flur und fluchte, als sie sah, dass sie den Anruf verpasst hatte. Ein Blick auf die Plastik-Küchenuhr sagte ihr, dass es höchste Zeit war, die Kinder zu wecken. Die antike Wanduhr, die sie von ihrem Großvater geerbt hatte, lag in einer Kiste im Keller. Göran hatte ein für alle Mal klargemacht, dass diese Uhr hässlich war. Aber jedes Mal, wenn er vorübergehend ausgezogen war, kramte sie Großvaters Uhr wieder heraus.
Dieser stumme Triumph kam ihr erbärmlich vor. Dabei war nicht die Uhr das Erbärmliche – erbärmlich war nur ihre Rolle in Karin Beckmans gehemmtem Gefühlsleben. Manchmal hatte sie Göran so angeschrien, dass die Nachbarn die Polizei riefen. Dann rannte sie in den Keller und versteckte sich, damit sie nicht jemand aus dem Streifenwagen erkannte.
Und nun hatten sich die unausgesprochenen Wahrheiten offenbar wie schmerzhafte Knoten an ihrer Wirbelsäule festgesetzt.
Als sie die Treppe hochging, hörte sie sein Schnarchen aus dem Gästezimmer. Heute konnte er die Kinder wieder nicht in den Kindergarten bringen, das musste sie tun und dann eben zu spät zur Arbeit kommen.
Vor der Tür zu Julias und Sigrids Zimmer sah sie, dass der verpasste Anruf von Andreas Karlberg gekommen war, und wählte sofort seine Nummer.
»Ich bin auf dem Weg nach Björsared, um die Nachbarn zu verhören«, teilte er ihr durch die knisternde Leitung mit.
»Okay, ich komm etwas später nach.«
Sie schloss die Augen. Aus dem Kinderzimmer hörte man die zweijährige Sigrid plärren.
»Ich treff dich dann dort«, konnte Karin noch rufen, bevor die Verbindung unterbrochen wurde.
Als die beiden Beamten auf der grünen Plüsch-Sitzgruppe im Wohnzimmer der Molins Platz nahmen, empfanden sie die Wärme des offenen Kamins zunächst als wohltuend. Das Heim der Molins war eingerichtet, wie bei den meisten älteren Herrschaften: Schön ordentlich, aber viel zu viele Möbel, dazu lauter Dekorationsgegenstände, als wären die Erinnerungen eines ganzen Lebens in drei Zimmern, Küche und Speicher versammelt.
Frau Molin ließ es sich nicht nehmen, eine Etagere mit Gebäck zu beladen. Karlberg nahm sich – eher aus Höflichkeit – ein Plätzchen und wollte gerade hineinbeißen, als ihm der unverkennbare Geruch von Schimmel in die Nase stieg. Rasch legte er seinen Keks auf die Untertasse, um ihn später unauffällig verschwinden zu lassen.
Dagny Molin zog sich die Strickjacke fest um die Schultern und ließ sich auf den Sessel gegenüber von Karin Beckman fallen. »Es ist kalt hier drinnen, nicht wahr? Ich sag Bertil mal Bescheid, dass er ein bisschen einheizt.«
»Nein, nein, nicht nötig«, versicherte Karlberg, der bereits die ersten Schweißtropfen auf der Oberlippe hatte.
Bertil Molin tauchte aus den Schatten auf. Er drehte den Radiator höher, der direkt neben Karlbergs Sofaplatz stand. Karlberg schälte sich aus seiner Jacke.
»Nie im Leben hätte ich gedacht, dass Lars tot ist«, erklärte Dagny Molin, nachdem ihr Mann sich in einen Rattanstuhl neben die Tür gesetzt hatte, als bewache er einen Fluchtweg. »Ich meine, als Sie das letzte Mal hier waren, Herr Wachtmeister.«
»Seit unserem letzten Besuch hat sich einiges geklärt. Trotzdem sind noch Fragen offen. Wie Sie bereits wissen, wurde Lars Waltz von einem unbekannten Täter ermordet. Der Täter ist im Auto gekommen. Deswegen haben wir mit allen Anwohnern Kontakt aufgenommen, denn der Mörder muss am Abend oder in der Nacht zum Zwanzigsten mit dem Auto auf dieser Straße vorbeigefahren sein. Sie können Edells Hof von der Veranda aus sehen. Wir wollen uns nur vergewissern, ob Ihnen seit dem letzten Mal vielleicht noch etwas eingefallen ist.«
Doch Dagny Molin schüttelte den Kopf. »Wie gesagt, wir haben geschlafen. Unser Schlafzimmer im Obergeschoss geht auf die Rückseite des Hauses, da können wir Autos oder andere Geräusche von der Straße nicht hören. Und selbst wenn ... Waltz hat ja eine Werkstatt betrieben, da haben wir nicht auf jedes Auto geachtet.«
Karlberg versuchte es anders. »Letztes Mal haben Sie erzählt, Sie hätten die Edells gut gekannt. Lise-Lott und ihren ersten Mann.«
»Thomas, ja! Der ist früher oft bei uns im Keller gewesen. Sven, also unser Sohn, hatte sein eigenes
Weitere Kostenlose Bücher