Wintermord
er privat war, weiß ich nicht.«
Stahre hob die Arme in einer hilflosen Geste. »Die Art Auftrag, von der wir hier reden, ist formal ziemlich eingeschränkt. Das waren Infobroschüren, da bleibt kein Platz für Extravaganzen. Es fiel Waltz schwer, das zu akzeptieren, er wollte immer alles auf seine Art machen.«
»Und wenn es nicht nach seinem Kopf ging?«
»Dann wurde er wütend, hat gezetert und die Türen geknallt. Außerdem nahm er horrende Preise. Es gab keinen Grund, weiter mit ihm zusammenzuarbeiten. Aber zu behaupten, dass wir zerstritten waren, das fände ich nun wirklich ...«
»Okay, ich verstehe.«
Bärneflod stand auf und zog den Reißverschluss seiner Wildlederjacke hoch. Dass doch die Menschen im Allgemeinen, und Mordopfer im Besonderen, selten so angenehm eindimensional waren, wie man zu Anfang einer Mordermittlung oft glauben mochte.
»Danke für Ihre Zeit. Ich finde selbst hinaus.«
19
Weihnachten – ein bisschen kalt und trübe, aber trotzdem allgegenwärtig. Tell stellte eine andere Frequenz ein, um sich nicht schon wieder Stille Nacht anhören zu müssen.
Der Parkplatz des Präsidiums war ausgeleuchtet wie eine Bühne. Grund dafür waren mehrere Fälle von Vandalismus und aufgebrochenen Autos auf dem Personalparkplatz.
Es war natürlich kühn, sich in die direkte Umgebung des Polizeigebäudes zu wagen. Da die ganze Stadt voller Autos war, konnte man davon ausgehen, dass es die Vandalen speziell auf die Polizeiwagen abgesehen hatten.
Tell hatte einmal einen Sechzehnjährigen festgenommen, der auf einer Anti-Rassismus-Demonstration mit Pflastersteinen auf Polizisten geworfen hatte. Die Überzeugung des Jungen verblüffte ihn. Er erkannte, dass er sich in seinem ganzen Leben einer Sache niemals so sicher gewesen war, wie es diese Jugendlichen heute waren. Insgeheim imponierte Tell diese Unerschütterlichkeit, obwohl es zu seinen Aufgaben gehörte, zu verhindern, dass gewisse Gruppen das Recht selbst in die Hand nahmen.
»Wenigstens glauben sie an etwas«, hatte er im Pausenraum gesagt, von Bärneflods beschränktem Kommentar über »dieses Kommunistengesindel« provoziert.
Nicht nur Bärneflod regte sich auf. Die Medien ließen sich nicht lange bitten, den politischen Standpunkt der Jugendlichen schlechtzumachen und oberflächliche Zusammenhänge zu ihrer Zerstörungswut herzustellen. Plötzlich war die sozialdemokratische Idee identisch mit Gruppen von vermummten Irren.
Tell bekam Unterstützung von Karin Beckman, die ebenfalls der Meinung war, dass man die politischen Ambitionen dieser Jugendlichen nicht einfach vom Tisch wischen dürfe.
Bärneflod schnaubte gereizt. »Das sind doch genau die Typen, die wir Normalbürger mit unserer Arbeit versorgen: Erst bezahlen wir ihnen Sozialhilfe, dann sollen wir sie unterstützen, wenn es ihnen einfällt, die halbe Stadt zu Kleinholz zu machen. Ich bin manchmal auch furchtbar wütend, aber deswegen zerschlage ich noch keine Fenster.«
Karin Beckman seufzte. »Du musst gewisse Dinge schon unterscheiden, Bengt. Diese Jugendlichen bekommen selten Sozialhilfe. Es sind meistens Mittelklassekinder mit politisch korrekten Eltern aus der Hippiegeneration. Du weißt schon, die Typen, die in den Siebzigern Bäume umarmt haben und so – die sind jetzt nämlich erwachsen und haben alle einen Job. Die Anarchisten von heute werden auch eine Ausbildung machen, und dann sitzen sie irgendwann genauso in ihren Reihenhäusern. Wie sollen die Jugendlichen rebellieren, wenn nicht dadurch, dass sie sich noch schlimmer aufführen als Mama und Papa?«
»Du scheinst da ja persönliche Erfahrungen zu haben«, murmelte Bärneflod. »Wahrscheinlich warst du auch unter denen, die ich in den Siebzigern von der Straße getragen hab. In ihren Kaftanen und Sandalen. Obwohl, nein, entschuldige, dafür bist du doch zu jung.«
Als er merkte, dass er die Grenze überschritten hatte, versuchte er, seinen Ausbruch zu überspielen. »Ich glaube nur, dass wir es uns nicht leisten können, Leute mit Glacéhandschuhen anzufassen, die nichts zur Gemeinschaft beitragen. Anscheinend muss man Ausländer oder kriminell sein, wenn man Hilfe von der Gesellschaft braucht. Ich meine, ich hab einen Sohn von fünfundzwanzig Jahren, der immer noch keine Aussichten auf eine eigene Wohnung hat. Wenn er nicht so anständig gewesen wäre, hätte er eine Wohnung und Sozialhilfe und den ganzen Mist.«
Karin Beckman war daraufhin in ihr Büro marschiert. Tell konnte sich nicht erinnern, ob er die
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