Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wintermord

Wintermord

Titel: Wintermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Ceder
Vom Netzwerk:
sitzen ungefähr zweihundert Nasen, ich hab keinen Schimmer, wie die alle heißen und wie alt die sind. Heute Abend spielt hier eine Band aus den USA. Irgend so eine Metal-Kiste, nicht ganz mein Fall, aber die Leute stehen drauf. Heute kann hier jeder rein, der zahlt. Wir lassen uns ganz sicher nicht von jedem den Ausweis zeigen. Du bist doch nicht etwa von der Bullerei?«
    Aus dem allgemeinen Stimmengewirr im Clubheim erhoben sich plötzlich laute Stimmen. My war nicht auf den heftigen Stoß von hinten gefasst, verlor das Gleichgewicht und fiel auf den Pferdeschwanz. Der fing sie geschickt auf und trat nach dem angetrunkenen Typ hinter ihr. »Hey, pass mal ’n bisschen auf da, du Idiot!«
    Angesprochen nuschelte er eine unfreundliche Antwort, als er wieder nach drinnen taumelte, doch der Pferdeschwanz schüttelte nur den Kopf und zeigte auf Mys Jacke. »Du hast da ’n bisschen Bier abgekriegt.«
    My winkte nur ab. »Ich bin nicht von der Polizei. Ich such bloß meinen Bruder. Ich dachte, du weißt vielleicht was.«
    Er nickte und schien sich tatsächlich Mühe zu geben. »Fünfzehn Jahre alt, so ein Frischling hätte einem wirklich auffallen müssen. Geh doch mal hoch und guck da, der ist sicher im Obergeschoss, wo die Band spielt. Hast du schon an der Bar geguckt? Vielleicht füllt er sich mit Bier ab. Hab ich auch gemacht in dem Alter.«
    Er angelte eine Uhr aus seiner Tasche. »In zwei Stunden hab ich Schicht an der Bar. Dann geb ich dir einen aus.«
    Auf der Treppe im ersten Stock saßen Jungs, die nur unwesentlich älter als Sebbe sein konnten. Als My sich endlich Gehör verschaffen konnte, nickte einer von ihnen und zeigte zur Bühne, vor der Hardrock-Fans herumsprangen. Unter ihren Füßen vibrierte es verdächtig, als könnte jederzeit der Boden nachgeben.
    Tatsächlich saß Sebastian ganz vorn auf einer Ecke der Bühne und starrte fasziniert auf die weiß geschminkten Wesen in schwarzen Mänteln, die kehlige Laute in ihre Mikrofone brüllten. Er saß genau vor einem Lautsprecher und würde zumindest das restliche Wochenende halb taub herumlaufen.
    My drängte sich durch die Menge. Als sie ihren Bruder gerade am Jackenärmel packen wollte, blieb sie stehen und betrachtete ihn einen Moment. Es war Monate her, seit sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Er war deutlich dünner geworden und zuckte zusammen, als ob er aus einer anderen Welt zurückgekommen wäre. My schrie seinen Namen, ohne ihre eigene Stimme hören zu können, und schleppte ihn dann ziemlich gewaltsam hinaus. Die Jugendlichen auf der Treppe rückten beiseite, als sie ihren Bruder vor sich her zum Ausgang schob. Der Wind hatte sich gelegt und es regnete auch nicht mehr, stattdessen fielen Schneeflocken.
    »Was soll das, verdammt noch mal?«, schrie er.
    My versuchte, sich in seine Lage zu versetzen. »Mama hat mich gezwungen, dich zu holen. Sie hatte dir verboten, hierherzufahren. Sie ist außer sich vor Sorge.«
    »Und? Wenn ich auf alles hören würde, was sie so sagt, bin ich eines Tages genauso verrückt wie sie.«
    Sie erkannte ihn kaum wieder. Mit seinen dunklen Augenringen wirkte er wesentlich älter, und plötzlich erfüllte sie eine tiefe Zärtlichkeit für ihren Bruder, der ihr mit seinen Pausbäckchen und den nassen Augen, mit denen er um Mamas Gunst kämpfte, ziemlich gleichgültig gewesen war. »Hallo erst mal. Lang nicht gesehen. Hattest du nichts mit außer der Jeansjacke?«
    Er schüttelte trotzig den Kopf und verschränkte die Arme. Ein bisschen verlegen legte sie ihre Hand auf seine, aber dann genügte ihr diese Berührung nicht mehr. Er musste es so unglaublich schwer gehabt haben, seit sie ausgezogen war. Als sie seine Hand an sich zog, schlug Sebastian die Augen nieder, als wollte er ihr etwas Wichtiges sagen. Aber dann schien er es sich anders zu überlegen.
    »Du musst jetzt mit mir nach Hause kommen, Sebbe.« Jedes Zeichen von Nachgiebigkeit war wie weggeblasen, als er sie jetzt ansah. »Vergiss es. Ich fahr jetzt noch nicht nach Hause.«
    Er drehte sich um, und wollte wieder in den Club gehen, aber sie versperrte ihm den Weg. Ein paar Jungs und ein Mädchen in Mys Alter, die neben einem amerikanischen Auto standen, lachten höhnisch und riefen Sebbe zu, dass längst Schlafenszeit sei.
    In Sebastians Augen trat ein wildes Funkeln.
    »Jetzt komm schon, verdammt«, zischte My mit zusammengebissenen Zähnen. »Außerdem komm ich hier nicht mehr weg, wenn du mich nicht auf dem Moped mitnimmst, den Rückweg schaff ich nicht

Weitere Kostenlose Bücher