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Wintermord

Wintermord

Titel: Wintermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Ceder
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mit dem Fahrrad.«
    »Das ist dein Problem«, gab er zurück.
    Einen Augenblick maßen sie einander mit Blicken. My spürte die Müdigkeit nach der langen Reise und die Anspannung nach dem Gespräch mit Solveig. Sie senkte den Blick als Erste. Sebastian befreite sich grob aus ihrem Griff und stieß sie weg. Sie konnte sich zu keinem Protest mehr aufraffen.
    Im ersten Stock machte die Band gerade eine Pause. Die Leute stolperten die Treppe hinunter, um sich etwas von der Bar zu holen. Sebastian musste gegen den Strom ankämpfen, als er nach oben ging. Ratlos blieb My stehen, immer noch in der Hoffnung, er könnte es sich anders überlegen.
    Verschwitzte Fans strömten aus dem Club ins Freie. Die höchstwahrscheinlich gesetzeswidrigen Dezibelzahlen hatten sie so taub gemacht, dass sie sich schreiend unterhielten, während sie sich in der Nachtluft abkühlten.
    Gerade kam auch das blonde Mädchen wieder heraus und wickelte sich einen weinroten Schal mehrmals um den Hals. Jetzt war My ganz sicher, sie zu kennen, und hob die Hand, wie um ihr zu winken.
    »Ich glaube, ich hab dich schon mal im Nordbahnhof gesehen, oder?« Als ehemalige Stammgäste im Nordbahnhof – Jugendliche, die eintrafen, sobald das Café öffnete, und dort blieben, bis es abends wieder zumachte, Texte in Tagebücher, auf Servietten oder in die Gästebücher schrieben – waren sie mit den innersten Gedanken der anderen besser vertraut als mit deren Äußerem. Sie offenbarten ihre Geheimnisse und Sehnsüchte den Lesern, die ihnen entweder applaudierten oder sie gnadenlos verhöhnten – doch alles geschah immer nur schriftlich und unter Pseudonym.
    »Ich dachte auch gerade, du bist doch aus Göteborg, oder?«, erkundigte sich My, und das Mädchen nickte.
    »Stimmt. Ich bin mit einem Typ gekommen, um die Band zu sehen. Und dann entdecke ich ihn, wie er mit so einer Tusse rumknutscht. That’s life.«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Sag mal, du bist doch auch aus Borås, oder? Tinkerbell .«
    Sie erinnerte sich also an Mys Pseudonym – nach so langer Zeit. Bei dem Gedanken, dass sie Eindruck auf jemand gemacht hatte, wurde My ganz warm.
    »Und du bist Girl «, sagte sie anerkennend. Sie unterhielten sich eine Weile über den offiziellen Briefwechsel, den sie vor ein paar Jahren geführt hatten.
    »Du kannst so toll zeichnen«, sagte das Mädchen plötzlich. »Total super. Du solltest irgendwas draus machen.«
    My merkte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. »Danke«, war alles, was sie herausbrachte.
    Aus dem Gebäude hörte man laute Stimmen. Ein Mann um die dreißig kam heraus – der Idiot von vorhin. Er spuckte zehn Zentimeter vor Mys Füße auf den Boden.
    Sie verdrehte bloß die Augen. »Und wer ist das?«
    Das Mädchen sah dem Kerl nach, der wütend durch den Vorhof taumelte, und zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht. Die sind auch irgendwo aus Göteborg, aber ich kenn die nicht. Machen einen ziemlich bekloppten Eindruck allesamt. Scheißsäufer.«
    Sie drehte sich wieder zu My um. »Aber ist ja auch scheißegal. Hey, hör mal, ich kenn kaum jemand hier, komm doch mit rein, ich lad dich auf ein Bier ein. Dann können wir gleich noch dem Typ in den Schritt treten, der da drüben in der Ecke steht und der Tusse mit dem Affengesicht fast schon in die Wäsche kriecht. Komm!«
    Lachend schüttelte My den Kopf. »Ich glaube, das geht echt nicht. Ich muss mit dem Rad nach Hause zu meiner Mutter, sie dreht sonst total durch. Ich sollte eigentlich meinen kleinen Bruder holen, aber der weigert sich. Wenn keiner von uns beiden mehr auftaucht, ruft sie garantiert die Polizei.«
    Das Mädchen musterte sie mit einem unergründlichen Blick, und My bereute ihre Worte fast schon. Sie wusste selbst nicht, warum sie plötzlich Rücksicht auf Solveigs verletzte Gefühle nahm, wo sie früher doch ihre Ehre darangesetzt hatte, sich nicht von der Hysterie ihrer Mutter einschränken zu lassen.
    Es reizte sie wesentlich mehr, ein Bier mit Girl zu trinken, als sich auf den langen stockfinsteren Heimweg zu machen. Aber sie spürte, dass sie den Konsequenzen nicht gewachsen wäre.
    »Wenn du willst, können wir ja zusammen zum Bus gehen. Ich nehm dich auf dem Gepäckträger mit«, bot sie ihr an.
    Girl überlegte kurz, schüttelte dann aber den Kopf. »Nein, ich bleib noch. Ich seh zu, dass mich nachher jemand bis zum Bahnhof mitnimmt, außerdem will ich es mir nicht nehmen lassen, Mårten so richtig zur Sau zu machen. Ich warte bloß noch auf die richtige

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