Winternacht
aber ich hatte es verlegt und konnte es nicht finden. Du hast es im Wald gelassen, als …«
Ich zog das Band von der Schachtel, die eine Herzform hatte, und mein Herz begann schneller zu pochen, als ich den Deckel aufklappte. Im Inneren lag ein funkelnder Anhänger – ein Schmetterling aus geschliffenem Glas –, den meine Tante mir zu meinem fünften Geburtstag geschenkt hatte. Es war das einzige hübsche Ding, das ich je besessen hatte, und ich war untröstlich gewesen, als ich es nicht mehr hatte finden können.
Nun sog ich scharf die Luft ein. »Ich hab das Stück verloren, als … als meine Mutter mich von hier wegbrachte. Ich dachte, es sei für immer weg.«
»Ich habe es später gefunden und für dich aufbewahrt. Ich wusste, dass du eines Tages zurückkommen würdest. Letztes Jahr steckte es irgendwo unter meinen Sachen, und ich konnte es nicht finden, bevor du wieder gehen musstest. Aber als ich es dann endlich fand, legte ich es an eine Stelle, wo ich es schnell würde holen können, wenn du mich riefst. Ich weiß noch gut, wie sehr du die Kette als kleines Mädchen geliebt hast. Also dachte ich, du willst sie vielleicht wiederhaben. Als eine Erinnerung an deine Kindheit.«
Unwillkürlich drückte ich den Anhänger an mein Herz, und plötzlich wurde mir bewusst, was meine Gedanken formulierten: Ich liebe ihn. Ich liebe Grieve .
Mein Wolf regte sich, und es fühlte sich so an, als würde er sich genüsslich strecken und die Sonne genauso genießen wie ich.
Grieves Blick fiel auf meinen Bauch – ich trug ein kurzes Top –, und ein träges Lächeln huschte über sein Gesicht. »Du trägst ja mein Symbol. Cicely, du bist im vergangenen Jahr zu einer Frau herangewachsen.« Seine Stimme liebkoste mein Herz wie zarte Finger, die über meine Haut strichen.
Ich schauderte. »Ich musste erwachsen werden. Ich hatte keine große Wahl.«
»Bist du noch mit deiner Mutter zusammen?« Seine Augen blitzten auf. Ich wusste, was er von Krystal hielt, aber er äußerte sich meistens nicht weiter dazu.
Also nickte ich nur.
»Also gut. Komm, gehen wir ein bisschen in den Wald, und dann erzählst du mir, was du im vergangenen Jahr gemacht hast.«
Als er nach meiner Hand greifen wollte, wusste ich, dass ich verloren wäre, wenn ich sie ihm gäbe. Seine Stimme hypnotisierte mich, sein Duft nach Haferstroh, Äpfeln und Gräsern nach dem Regen war betörend. Er beobachtete mich genau, und mit einem Mal erkannte ich, dass er es wusste. Er wusste, was in mir vorging, und er bot mir mehr als nur seine Hand an. Er bot mir eine Chance auf ein Leben, eine Chance auf Liebe, darauf, zu jemandem zu gehören. Er bot mir sein Herz an.
Ich biss mir auf die Lippen und starrte auf seine Hand. Seine Finger waren lang und schlank, und doch konnte er einem Feind damit wahrscheinlich den Kopf abreißen. Ich wusste, dass Grieve unberechenbar war, aber ich hatte ihn immer als gerecht erlebt. Und er spielte keine Spielchen.
Soll ich es wagen? Soll ich mich darauf einlassen, ihn zu lieben? Ihn in mein Leben zu lassen? Kann ich es wagen, die Liebe zu wählen?
Ulean, die neben uns herwehte, lachte. Wie kannst du es nicht wagen?
Und so traf ich meine Wahl. Als meine Finger seine berührten, umfasste er sie und zog mich in seine Arme.
»Meine Cicely. Ich werde dir niemals weh tun.«
Er tippte mir unters Kinn, bis ich zu ihm aufsah. Und dann stürzte meine Welt im Zeitlupentempo über mir zusammen, als er sich herabbeugte und seine Lippen sich auf meine legten. Sie entfachten ein Feuer in mir, das wuchs und sich ausbreitete, und ich schwelgte in dem Gefühl, dass jemand mich in den Armen halten wollte, mich lieben wollte, dass jemand mich nie wieder gehen lassen wollte.
»Ich liebe dich, Grieve. Ich habe dich immer schon geliebt – erst als Kind und jetzt …«
»Ich bin ein Prinz. Eines Tages, wenn du bereit dazu bist, wirst du meine Prinzessin sein und an meiner Seite herrschen. Nun, da ich dich endlich wiederhabe …« Seine Stimme verebbte, und ein seltsamer Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Es ist so lange her … ich habe so lange gewartet, dass du zu mir zurückkommst.«
»Was meinst du damit? Es war doch nur ein Jahr.«
»Nein. Es ist schon viel länger her.« Aber als ich nachfragte, schüttelte er nur den Kopf, und seine Lippen senkten sich erneut über meine. Er zog mich an sich, und als er mich küsste, begann sich die Welt um mich herum zu drehen. Wir schlossen einen Pakt an jenem Tag, als ich Grieve ein Stück meines
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