Winternacht
Ahnung, ob das Gefühl gegenseitig war. Oder ob sie sein Interesse überhaupt wahrnahm.
»Du meinst, es könnte eine Möglichkeit geben, Grieve wieder zurückzuverwandeln?« Der Gedanke war mir noch gar nicht gekommen.
Sie zuckte mit den Achseln. »Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Aber wir können es ja herauszufinden versuchen.«
»Und wie sollen wir das machen? Ich dachte, die Akazzani seien eine geschlossene Gesellschaft.« Der Gedanke daran, sich in all diese alten Schriften zu vertiefen und vielleicht weit mehr zu finden als nur ein Gegenmittel für Grieve, war verlockend. Was, wenn jemand Schwachstellen des Indigo-Hofs dokumentiert hatte, die wir gegen Myst verwenden konnten?
»Zoey ist mir treu ergeben. Ja, sie hat einen Eid geleistet, aber wenn sie erfährt, was auf dem Spiel steht …« Luna holte ihr Handy hervor. »Ich sollte sie einfach anrufen.«
»Bei denen darf man Handys haben?« Kaylin betrachtete sie mit schief gelegtem Kopf. »Es hat mal eine Zeit gegeben, als geheime Gesellschaften zumindest versucht haben … na ja, geheim zu bleiben.«
Luna kicherte und warf ihm einen koketten Blick zu, aber ich glaubte nicht, dass sie sich dessen bewusst war. »Wir befinden uns im einundzwanzigsten Jahrhundert, nicht im neunzehnten. Man darf nicht nur Handys haben, sondern auch ab und zu nach Hause fahren, solange man die Regeln einhält. Zum Beispiel konnte Zoey immer Bücher rausschmuggeln und sie wieder zurückstellen, wenn wir damit durch waren. Bücher sollen gelesen werden, und Informationen müssen fließen, anstatt in irgendwelchen Kellern eingesperrt zu sein. Obwohl Zoey die Einzige aus meiner Familie ist, der ich erzählen würde, wo wir sind und warum.«
Sie hielt inne und wartete darauf, dass ich ihr das Okay für den Anruf gab. Ich sah mich um. Kaylin nickte. Peyton und Rhiannon taten es ihm nach. Mein Vater schwieg. Lannan war nicht anwesend.
Grieve neigte langsam den Kopf. »Ich bin gewillt, es zu probieren. Ich habe es satt, mich zu fühlen, als hätte man mich an der Leine.«
Dann also ein Mehrheitsbeschluss.
Ich wandte mich wieder an Luna. »Tu es. Ruf sie an, sobald wir hier fertig sind.« Sie nickte und schob ihr Handy wieder in die Tasche. Ich sah mich um. »Könnte jemand Lannan zurückholen? Ich will, dass jeder Gedanken und Meinungen beisteuert. Ich habe eine Idee.«
Lannan kam widerstrebend zurück und gab sich gelangweilt. Er richtete seinen Blick auf mich und ignorierte Grieve geflissentlich. Mein Vater schüttelte nur leicht den Kopf und sah mich resigniert an. Sieh zu, wie du aus der Nummer wieder rauskommst, schien er sagen zu wollen.
Als wir uns um den Tisch herum niedergelassen hatten, sah ich alle nacheinander an. Wir alle hatten unsere Stärken und Schwächen. Ich dachte nicht daran, mir oder den anderen etwas vorzumachen. Dass Lainule nicht mehr auf unserer Seite stand, war bitter. Auch Leo und Anadey waren für uns verloren. Sie waren nicht unbedingt unsere Feinde, hatten uns aber alle auf die eine oder andere Art verraten. So vieles war in so kurzer Zeit schiefgegangen.
»Ich glaube, ich weiß, wie wir Lainules Unterstützung zurückerlangen. Es ist gefährlich, aber in meinen Augen die einzige Chance, die wir haben. Wir brauchen die Hilfe des Sommers, und ich will keine Zwietracht zwischen meinem Vater und der Königin von Schilf und Aue säen.« Ich blickte zu ihm auf. Ich konnte dieses Schuldgefühl einfach nicht loswerden.
»Du bist niemand, der Zwietracht sät, Tochter. Lainule ist eigensinnig, und wir haben in den vergangenen Jahren schon über vieles gestritten. Dies ist nur ein weiterer Punkt, über den wir uns nicht einig sind.« Seine Augen leuchteten auf. »Die Sommerkönigin ist in ihren Launen so flüchtig wie Feuer, das auf der Sonne explodiert. Sie verkörpert die Flamme. So ist ihre Natur.«
»Mag ja sein, aber ich möchte die Fackel nicht am falschen Ende anpacken müssen. Zumal wir ihre Hilfe brauchen. Sie muss sich von Geoffrey abwenden.«
Luna legte den Kopf schief. »Sie ist also so verzweifelt, dass sie sich auf seine Pläne eingelassen hat? Warum?«
»Cicely kennt den Grund.« Wrath sah mich warnend an.
Ich nickte. »Falls Myst den Alissanya – Lainules Herzstein – findet, kann sie die Sommerkönigin vernichten. Und da Myst über den Wald herrscht, wird sie ihn finden – es ist nur eine Frage der Zeit. Lainule ist tatsächlich verzweifelt, denn sie fürchtet um ihre Existenz. Und sie hofft, dass sie an Geoffreys Seite Myst
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