Winternacht
aufhalten kann, bevor es zu spät ist.«
»Und was willst du jetzt von uns?«
Ich holte tief Luft. »Ich möchte eure Meinung hören. Wenn wir Lainules Herzstein finden können, wird sie uns bestimmt wieder helfen. Jetzt hat sie Angst, aber wenn wir den Stein haben, kann sie sich wieder auf anderes konzentrieren.«
Wrath erhob sich langsam, ohne den Blick von mir zu nehmen. »Du hast keine Ahnung, welche Folgen die Tat hat, die du hier vorschlägst.« Seine Stimme war leise und drohend; er schien sich nur mühsam zu beherrschen. »Außerdem sollte man solche Dinge niemals in der Öffentlichkeit besprechen.« Noch nie hatte ich ihn so erzürnt erlebt.
Ich sah mich um. »Was für eine Öffentlichkeit? Weniger öffentlich könnten wir im Augenblick doch wohl nicht sein!«
»Du weißt genau, was ich meine. Du sprichst in Gegenwart von Yummanii und Magiegeborenen und – am schlimmsten – von Vampiren.« Er beugte sich vor, und einen Moment lang befürchtete ich, dass er mich schlagen würde, so streng, so wütend war sein Blick, doch er umfasste nur mein Kinn. »Tochter, du bist noch immer zu vertrauensselig.«
Ich biss mir auf die Lippe. Ich wollte ihn nicht verärgern. Aber Vertrauen war unabdinglich, und irgendwo mussten wir anfangen. Wir waren angeschlagen, und außer unserer bunt zusammengewürfelten Truppe hatten wir niemanden.
»Ich weiß, dass es gefährlich ist, aber ich denke nicht, dass wir eine Wahl haben. Entweder verblasst Lainule und stirbt letztendlich, weil der Stein nicht bei ihr ist, oder wir holen ihn, und sie überlebt. Sie selbst kann ihn nicht holen, ihr Volk kann ihn nicht holen. Ihr Volk, das übrigens auch dein Volk ist.«
»Was genau ist denn ein Herzstein?« Luna blickte von mir zu Wrath und wieder zurück.
Ich wagte es. Mein Vater hatte recht, misstrauisch zu sein, aber uns rannte die Zeit davon. »Er ist ein Stück von Lainules Essenz, ein Stück aus ihrem Herzen, eingefasst in einen Edelstein und irgendwo tief im Goldenen Wald verborgen. Wenn Myst ihn findet, kann sie Lainule sofort vernichten. Aber auch so ist die Königin von Schilf und Aue so weit davon entfernt, dass sie langsam, aber sicher verblasst. Wenn wir den Stein nicht finden und ihr bringen, dann wird sie sterben.«
Lannan stieß ein freudloses Lachen aus. »Der Sommer darf nicht sterben.«
Wrath fuhr zu ihm herum. »Was kümmert es dich, Altos?«
»Falls Lainule stirbt, kann niemand mehr Myst in Schach halten. Geoffrey wird es nicht schaffen, auch wenn er gern das Gegenteil behauptet. Sie wird alles einnehmen, das Land in einen ewigen Winter hüllen und mein Volk und alle anderen töten. Und das wünsche ich mir genauso wenig wie du, Eulenkönig.« Er beugte sich vor. »Ich helfe euch, und ich bewahre euer Geheimnis, und zwar aus dem einfachen Grund, weil es für mein Volk das Beste ist.«
Grieve griff nach meiner Hand, und ich überließ sie ihm. Er hob sie an die Lippen und küsste meine Finger. »Dass du meine Auserwählte bist, hat seinen Grund. Aber wie willst du das versteckte Kleinod finden?«
Chatter und ich sahen einander an. Ich räusperte mich. »Als wir zum Fledermausvolk gewandert sind, um Hilfe für Kaylin zu holen, sind wir durch einen geheimen Tunnel gegangen. Ich bin ziemlich sicher, dass wir nah dran gewesen sind; mein Gefühl sagt mir, dass der Stein dort versteckt ist. Der Tunnel ist eindeutig lange, lange Zeit nicht benutzt worden … und dort unten war etwas zu spüren.«
Grieve nickte. »Du könntest recht haben. Herzsteine sind sakrosankt, aber Zeiten wie diese verlangen nach unkonventionellen Mitteln. Ich würde sagen, wir tun es. Lainule war immer eigenbrötlerisch, aber bestimmt nicht dumm, und dass sie sich auf Geoffreys irrsinnigen Plan einlässt, erscheint mir für unsere Sommerherrin wahrlich nicht normal.«
Zögernd ergriff Chatter das Wort. »So sehe ich das auch. Wir wissen, wo der Tunnel ist, wir wissen, wie wir dorthin gelangen. Wir schleichen uns durch den Wald, so dass uns niemand wahrnimmt.«
Ich richtete meinen Blick wieder auf Wrath. »Wir haben keine Wahl. Wenn wir Lainule wieder auf unserer Seite haben wollen, müssen wir dafür sorgen, dass sie genug Kraft hat, sich mit uns gegen den Feind zu stellen. Bis dahin hat Geoffrey sie in der Tasche. Und was ist denn, wenn er auf die Idee kommt, sie zu verwandeln, weil ich mich geweigert habe? Könnt ihr euch vorstellen, was passiert, wenn er es bei der Sommerkönigin versucht? Wahrscheinlich würde sie nicht zu solch einer
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