Winternacht
furchteinflößend. Sie war eindeutig älter geworden, und obwohl die Zeit keine Spuren hinterlassen hatte, hatte sie sie stärker gemacht – stärker, als ich sie je gesehen hatte. Ihre Miene sprach von wilder Entschlossenheit. Sie war gekleidet in grünen Samt, und sie streckte mir ihre Hand entgegen. Funken sprangen von ihrer Handfläche und flammten zu einem Feuer auf, das über ihre Haut tanzte.
»Cousine«, flüsterte sie. »Mondgeborener Zwilling. Ich muss erwachen. Weck mich aus meinen finsteren Träumen.«
Während ich wie gebannt auf ihre Gestalt starrte, trat Chatter im grünen Kleid des Sommers hinter ihr hervor, kam herum und legte ihr die Hände auf die Schultern. Er beugte sich vor, um sie zu küssen, und während ich sah, wie die Flammen auf ihren Händen vor Freude hochsprangen, wurde das Licht um sie herum so hell, dass ich wegsehen musste.
Im nächsten Moment war ich wieder auf dem Pfad und ging tiefer in den Wald hinein. Als ich eine riesige, ausladende Zeder erreichte, glaubte ich, sie zu kennen, aber ich wusste nicht, woher. Und dann war Ulean um mich herum, wehte und tanzte, und ich spürte ihre Freude in den wirbelnden Blättern, die plötzlich aufflogen.
Der Sommer kommt wieder. Der Sommer ist noch nicht verloren …
Ich blickte mich nach Lainule um, entdeckte sie aber nicht. Wieder schloss ich die Augen und ließ mich von der Wärme wie in einen duftenden Umhang einhüllen, als mir etwas auf die Schulter tippte. Ich schlug die Augen auf und sah ein grünes Licht vor mir schweben, eine helle Kugel aus Energie, die auf Augenhöhe leicht hüpfte. Nun glitt das Licht zu den Baumwurzeln, und mit Ulean schützend im Rücken ging ich ihm nach.
Vor dem Stamm ging ich in die Knie und drückte die Farnwedel auseinander. Ein tiefes Vibrieren, fast ein Wummern ging von den Wurzeln aus. Es war wie ein ferner Donner, der in meinem Herzschlag widerhallte, anschwoll und an Kraft gewann. Ich säuberte den Boden direkt vor dem Stamm und legte eine Falltür frei. Sie erinnerte mich an die, durch die wir auf unserem Marsch zum Fledermausvolk in den Tunnel gelangt waren.
Ein bronzener Griff erschien, und die Lichtblase ließ sich behutsam darauf nieder.
»Ich soll das öffnen?«
Das Licht hüpfte einmal … zweimal.
Ich streckte die Hand aus, und das Licht bewegte sich zur Seite. Als ich den Griff packte, rann ein Schauder durch meinen Arm hinauf bis in die Schulter. Ich blickte hinein in die Tiefe und sah einen Strudel aus Farben, einen Wirbelwind aus Grün, Gold und leuchtendem Rot. Die Farben wallten auf und saugten mich hinein, und ich begann zu fallen, als der Boden unter mir verschwand. Doch noch während ich abwärtsstürzte, wusste ich, dass ich auf dem richtigen Pfad war … auf dem Weg zur Hoffnung und Rettung, und zum ersten Mal, seit ich nach Hause zurückgekehrt war, konnte Mysts Schatten mir nicht folgen.
Cicely, aufwachen – es ist Zeit . Uleans Atem hauchte mir ins Gesicht, und die sanfte Brise weckte mich endgültig.
Blinzelnd öffnete ich die Augen, stemmte mich hoch und schauderte. Einen Moment lang war ich verwirrt und desorientiert. Es war ein Traum gewesen, nur ein Traum, doch als ich unwillkürlich meine Hand betrachtete, in der ich das gefangene Feuer gehalten hatte, schien sie fast zu glühen und fühlte sich warm an. Gähnend sah ich zur Uhr; es war fast sechs Uhr morgen. Auch Rhiannon regte sich nun, wälzte sich auf die Seite, stützte sich auf einen Arm auf und rieb sich mit der freien Hand die Augen.
In meinem Traum war sie so viel stärker, so viel mächtiger gewesen.
Sie blinzelte und verzog die Lippen zu einem kleinen Lächeln. »Morgen. Müssen wir schon aufstehen?«
»Sollten wir wohl. Peytons Vater wird in zwei, drei Stunden hier sein, und ich möchte so bald wie möglich Ysandra anrufen.« Ich zögerte und musterte sie einen Moment lang. »Hast du zufällig irgendetwas Merkwürdiges geträumt?«
Sie zog die Brauen zusammen und kuschelte sich wieder unter die Decke. »Ich weiß nicht … kann sein.« Nach einem Moment legte sie den Kopf schief. »Ja, ich glaube, ich habe von einem Ort geträumt, wo ich mich sicher fühlte. Und Chatter war da … Aber das ist alles, an was ich mich erinnere.«
Ich überlegte, ob ich ihr sagen sollte, was ich gesehen hatte, aber vielleicht war es reines Wunschdenken gewesen, und so beschloss ich, meine Träume für mich zu behalten, bis ich Zeit gehabt hatte, intensiver darüber nachzudenken. Ich erhob mich langsam, und als
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