Winternacht
ich mich streckte, tat mir jeder Knochen weh. Unser Lager war weich gewesen, ja, aber nicht vergleichbar mit einem echten Bett. Rhiannon grummelte, als sie sich nun auch erhob.
In der frostigen Luft rieb ich mir die Arme. Meine Zähne klapperten, und ich sehnte mich nach einem heißen Kaffee. »Verdammt, ist das kalt.«
Meine Stimme weckte Peyton und Luna. Sie gähnten und setzten sich ebenfalls auf, um schließlich widerwillig die Decken aufzuschlagen. Ich wühlte durch die Sachen, bis ich eine saubere Jeans, einen Rollkragenpulli und – das Beste überhaupt – frische Unterwäsche gefunden hatte. Wenigstens würden wir ein paar Tage auskommen, ohne per Hand waschen zu müssen.
Rhiannon schlang sich eine dünne Decke um die Schultern und verschwand in Richtung Toiletten. »Ich muss mich unbedingt frisch machen.«
Auch Peyton und Luna wühlten in den Klamotten, bis sie ihre Sachen gefunden hatten. Kaylin hatte, wie wir feststellen mussten, keinen besonderen Sinn für Farbzusammenstellung oder Stil, aber im Augenblick zählte das wenig. Weil ich noch immer in der Kälte zitterte, folgte ich Rhias Beispiel und schlang mir eine der Decke um die Schultern.
»Bist du bereit, deinem Vater entgegenzutreten?«, fragte ich Peyton.
Sie zuckte mit den Achseln. »Ja, obwohl ich mich derart fürchte, dass es bestimmt schiefgeht und ich mir dann wünsche, dass ich nie von ihm gehört hätte. Ich weiß ja, dass es heißt, es sei immer besser, Bescheid zu wissen, aber manchmal bin ich mir dessen nicht so sicher. Bei seinen Träumen zu bleiben, ist manchmal viel einfacher, als der Wirklichkeit ins Auge zu blicken.«
»Vor allem bei der Wirklichkeit, in der wir im Augenblick leben.« Ich schenkte ihr ein kleines Lächeln. »Aber ich bin sicher, dass er ein guter Kerl ist. Ich meine – schau dir Wrath an. Er ist bestimmt nicht der, den ich mir immer erträumt habe, aber irgendwie passt er zu mir und meinem Leben.«
Peyton, halb Werpuma, halb Magiegeborene, nickte. Sie war groß und kräftig und muskulös und hatte lange dunkle Haare und dunkle Augen. Obwohl sie weiß war, war ihr indianisches Erbe unverkennbar, und die Mischung aus Bodenständigkeit und exotischem Aussehen hatte etwas Spannendes.
»Wollen wir unsere Suche nach Lainules Herzstein eigentlich genau durchplanen?«, fragte Luna. Stirnrunzelnd hielt sie einen langen Rock und ein Hemd hoch. »Das sollte gehen.« Sie stimmte einen leisen Gesang an, und plötzlich verschwanden die Falten aus der Kleidung.
»Wie hast du denn das gemacht?«, fragte ich fasziniert.
»Oh, das ist einfach. Küchenhexenmagie. Ich kann Knitterfalten aus Kleidung singen und dafür sorgen, dass nichts überkocht oder anbrennt. Oder eine Saat dazu bringen, schneller zu keimen und kräftiger zu wachsen.«
Von einer solchen Yummanii-Magie hatte ich noch nie gehört. Magiegeborene arbeiteten vor allem mit den Elementen, aber mir war natürlich klar, dass es alle möglichen Arten von Zauberei gab. »Was kannst du denn noch so? Ist deine Magie an Elemente gebunden?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Meine Magie ist mit dem Singen verknüpft. Wenn ich eine Kehlkopfentzündung kriege, geht gar nichts mehr. Ich habe meine Magie als Kind entdeckt. Ich sang meinen Puppen etwas vor, und eines Tages fingen sie an zu tanzen. Meine Mutter war entsetzt. Doch meine Großmutter war eine Bannsängerin – so wird das in unserer Familie genannt. Auch eine Cousine von mir hat diese Fähigkeit. Wir wissen nicht genau, woher sie kommt, aber auch die Großmutter meiner Großmutter konnte anscheinend mit Liedern Dinge bewirken.«
»Du hast das absolute Gehör, nicht wahr?« Ich persönlich konnte zwar keinen Ton halten, erkannte aber durchaus Talent, wenn ich es hörte.
Sie errötete leicht und neigte den Kopf. »Ja. Außerdem brauche ich Lieder nur ein Mal zu hören, um sie nachzusingen. Ich scheine ein audiografisches Gedächtnis zu haben – wie ein fotografisches, nur für Töne.«
Peyton nickte. »Was gibt Musik dir?«
Luna biss sich auf die Lippe und blickte ins Leere, während sie nach Worten suchte. »Es ist schwer zu erklären. Irgendwas in der Musik bringt meine Seele zum Schwingen. Das klingt kitschig, aber ich meine es im Ernst: Die Töne lösen Schwingungen in meinem Inneren aus. Ich spüre dann, wie sie sich in meinem gesamten Körper in Wellen ausbreiten, kann sie packen und mir zunutze machen. Meine Eltern haben dieses Talent nicht, können aber andere erstaunliche Dinge. Sie haben ihr Talent
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