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Winternacht

Winternacht

Titel: Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmine Galenorn
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sprangen.
    Wer ist das?
    Ulean wehte flüsternd vorbei. Sie ist die Jungfrau des Wissens. Tochter der Luft.
    Gehört sie zu den Wildling-Feen?
    Nein, sie ist mehr als das. Sie ist … sie ist einfach. Was du siehst, ist nur eine Art Avatar, eine ihrer Gestalten. Ulean ließ sich auf meiner Schulter nieder, und ihr Flüstern kitzelte in meinen Ohren . Du musst ihre Fragen beantworten, wenn du vorbeiwillst. Wenn es dir nicht gelingt, reißt sie dich in Stücke.
    Ihre Fragen beantworten? Was denn für Fragen?
    Das weiß ich nicht. Was immer sie wissen will.
    Ich biss mir auf die Lippe. Was nun? Ich wusste – ich wusste so sicher, wie ich meinen Namen kannte –, dass dieses Wesen nicht zu besiegen war. Die Jungfrau des Wissens musste nicht kämpfen. Ich hatte den Eindruck, dass meine Finger durch sie hindurchgehen würden, wenn ich versuchte, sie zu berühren, doch falls sie sich entschließen sollte, uns anzugreifen, würde das wahrscheinlich auf nur allzu körperlicher Ebene geschehen.
    Woher soll ich …
    Frag nicht weiter. Du musst es selbst herausfinden, Cicely. Ich darf dir hierbei nicht helfen .
    Ich seufzte. Ulean hätte mir niemals versagt zu helfen, wenn sie es gekonnt hätte, daher wusste ich, dass sie die Wahrheit sagte. Mit einem Blick zu den anderen schüttelte ich den Kopf und trat einen Schritt vor. Die Jungfrau des Wissens sah zu mir auf, und ihre Augen glitzerten im dämmrigen Licht des kurzen Flurs. Unwillkürlich fragte ich mich, wie lange sie wohl schon dort saß. Seit wann hielt sie hier Wache? Sprach sie jemals? Bekam sie jemals Besuch? Und würde sie je frei sein?
    Plötzlich unendlich traurig – sie erschien mir so einsam! –, näherte ich mich so weit, wie ihr Kraftfeld es zuließ. Sie sah mir entgegen, ohne zu blinzeln. Ihr Gesicht war in sanftes Licht getaucht.
    Was sollte ich sagen? Was tun? Und dann kam mir ein Gedanke. Sie wartete darauf, dass ich zu reden begann. Vielleicht war sie als Jungfrau des Wissens hier, um Rat zu erteilen und Hilfe zu leisten.
    »Wir erbitten freies Geleit. Werdet Ihr es uns gewähren?«
    Meine Stimme klang fehl am Platz, und obwohl ich leise gesprochen hatte, hallte sie im Gang wider, als hätte ich geschrien, und ich zog den Kopf ein. Normalerweise achtete ich nicht auf meine Stimme, aber hier hörte sie sich scheußlich rauh und kratzig an.
    Die Jungfrau des Wissens hielt inne, dann glitten ihre Finger über die Harfe. Dieses Mal brach ihre Stimme über uns herein, und sie war so schön, dass ich am liebsten auf die Knie gesunken und in Tränen ausgebrochen wäre.
    »Was ist es, das ihr sucht? Warum soll ich euch unbehelligt vorbeilassen?« Ihre Worte donnerten durch die Luft, und ich erkannte, dass die Wucht uns hätte taub werden lassen, wenn der Wind ihren Gesang nicht fortgetragen hätte.
    Ihre Präsenz ließ mich taumeln, und ich begann zu stammeln. Ich fühlte mich wie ein Elefant im Porzellanladen, als ich nach einer Antwort suchte, die ihr genügen konnte. »Ich suche nach Hilfe für Lainule – die Königin von Schilf und Aue. Sie ist in Gefahr. Ich komme mit ihrer Erlaubnis.«
    »Warum soll ich dir glauben?« Sie musterte mich, und es kam mir vor, als dringe sie in meinen Verstand ein, kehrte mein Inneres nach außen und schüttelte meine Gedankenwelt aus, um zu betrachten, was anschließend noch übrig blieb. Es war ein Übergriff auf meine Privatsphäre, gleichzeitig jedoch ein rauschhaftes Erlebnis.
    Ich schüttelte den Kopf. »Weil ich die Wahrheit sage. Weil … weil ich Lainule versprochen habe, dass ich alles tun werde, um ihr zu helfen.« Mehr fiel mir nicht ein.
    »Und wenn ich deine Bitte ablehne?«
    Ich starrte sie an und hätte am liebsten gesagt, dass wir sie dann außer Gefecht setzen würden, aber ich wusste, dass wir das nicht konnten. Genauso wenig würden wir einen anderen Weg hinein finden, also war es auch sinnlos, ihr damit zu drohen. Hilflos hob ich schließlich die Schultern.
    »Dann werden wir nach Hause gehen und Myst ohne die Hilfe des Sommers zu bekämpfen versuchen. Wir kämpfen, bis sie uns zur Strecke bringt, und wir werden vermutlich sterben. Denn wir brauchen die Hilfe des Sommers, um gegen den Indigo-Hof bestehen zu können.«
    Die Jungfrau des Wissens erhob sich, und ihr Kleid aus Spinnweben und Seide, aus Federn und Vogelnestern und der Watte aus Wolken fiel in Wellen herab. Ich schaute zu ihr hinauf: Sie war groß, oh, so groß und so königlich, und ich erkannte, dass Ulean recht gehabt hatte. Dies war keine

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