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Winternacht

Winternacht

Titel: Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmine Galenorn
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Lainule und ich es nicht sind, und sie sind oft blind für die Entwicklungen außerhalb ihrer unmittelbaren Reichweite. Die Großhöfe stehen so weit über der Welt, in der wir leben, dass sie die Dinge gern ignorieren, bis es zu spät ist.«
    »Fast wie Crawl bei den Vampiren.«
    »Ja. Sie leben einfach nicht in derselben Sphäre.«
    »Myst konnte sich also einschleichen und Chaos verbreiten.«
    Wrath klopfte mir auf die Schulter. »Du hast es verstanden, sehr gut. Aber wir dürfen ihr nicht erlauben zu gewinnen. Ihre Vorstellung von Normalität ist eine Welt aus Knochen und Sehnen, in der alles zerfetzt und gefressen wird, was keine Indigo-Fee sein will. Sie ist die fleischgewordene Vernichtung, sie ist die ungezähmte Kraft des Todes und der Raserei.«
    »Wenn sie Kraft und Raserei ist, dann kann sie vielleicht nicht anders«, sagte ich leise. »Und wenn Myst Tabera getötet und sich für eine lange Zeit zurückgezogen hat, um ihre Kräfte zu sammeln, warum hat sich der Sommer dann nicht an die Spitze gesetzt, zumal niemand mehr da gewesen ist, der Lainule etwas entgegenzusetzen hatte?«
    »Meine Lady regiert gerecht. Dabei mag sie manchmal nicht unbedingt gütig oder freundlich handeln, aber die Königin von Schilf und Aue weiß um die Bedeutung eines natürlichen Gleichgewichts, selbst wenn unsere Gegenkraft lange Zeit nicht aktiv gewesen ist.«
    Zögernd sprach ich weiter. »Als wir im Wald waren, konnte Rhiannon die Tür sehen, die zu Lainules Kammer führte. Man hat mir gesagt, dass diese magischen Türen nur für Cambyra sichtbar sind.« Abwartend sah ich ihn an.
    Aber mein Vater wollte offensichtlich nicht. »Keine weiteren Fragen mehr. Los, auf und ins Bett. Schlaf. Wir werden unsere Kraft brauchen.«
    Während ich zu meinem Zimmer ging, wirbelte das, was er mir erzählt hatte, in meinem Kopf herum, bis alles zu einem zähen Brei wurde. Ich gähnte und schleppte mich zu meinem Bett. Ohne die pikanten Bilder an den Wänden eines Blicks zu würdigen, zog ich mich aus, schlüpfte unter die Decke und zog sie zufrieden seufzend bis ans Kinn. Die Matratze war himmlisch bequem, die Decke weich auf meiner Haut. Nicht einmal die drohenden Ereignisse konnten noch zu mir durchdringen, als der Schlaf kam und mich ins Reich der Träume davontrug.

    Ich wanderte mit Rhiannon an meiner Seite durch den Wald, und wir hielten uns an den Händen. Ich wandte mich ihr zu. »Zeig’s mir. Zeig mir, wer du bist.«
    »Ich weiß nicht, wie«, antwortete sie mit einem Blick über die Schulter. »Ich weiß nicht einmal, wo ich anfangen soll.« Sie ließ meine Hand los und ging zu einer der Zedern, die den Wald überragten. Sie spielte mit einem Zweig, betastete die Nadeln und sagte: »Das sind nicht die Wälder aus meinen Träumen. Ich träume von Eichenwäldern, von Ebereschen und Hagedorn. Ich träume vom Torfgeruch und nebligen Morgen mit Blick aufs Meer.«
    Ich nickte. »Das hier sind meine Wurzeln, das Land ist mein Anker. Als ich Mysts Tochter war, war dies hier unsere Heimat. Aber wo warst du?«
    Sie lächelte schwach. »Ich fange erst jetzt an, mich zu erinnern. Es war vor langer Zeit und weit fort … Noch ist alles in einem Nebel verborgen, nur den Wald sehe ich klar. Dort lebte ich. Auf meinem Bauch …« Ihre Stimme verebbte, und sie ließ sich auf den Boden nieder, streckte sich aus. »Jetzt erinnere ich mich. Auf dem Bauch, durchs Gras, durch die Bäume. Durch …«
    Schweigen senkte sich auf uns herab. Rhia sah auf, und die Iris ihrer Augen veränderte sich, die Pupillen wurden zu Schlitzen. »Auf dem Bauch … im Gras.« Sie begann sich zu verwandeln, und ich sah, wie ihre Beine miteinander verschmolzen, die Arme an ihren Seiten in den Körper übergingen.
    Ich trat zurück. Nein . Sie durfte doch nicht ausgerechnet … Gefahr! , flüsterte mein Eulenanteil mir zu. Flieg weg!
    Mühelos verwandelte ich mich mit meinen Kleidern in meine Eulengestalt und flog ins Geäst. Dies war meine Heimat, dies war mein Land, und ich hatte ein Recht darauf, hier zu sein. Und unter mir …
    Unter mir schuppte sich Rhiannons Haut, und ihr Haar zerfloss ebenfalls zu Schuppen und erzeugte ein wunderschönes Rautenmuster auf ihrem Rücken. Sie wand sich vor und zurück, richtete sich auf, und sie war glatt, muskulös, faszinierend. Ich beobachtete, wie sie sich zusammenrollte, mit der Schwanzspitze zu rasseln begann und zu mir hinaufsah. Ich konnte ihren Hunger spüren, und mein eigener regte sich. Ich wusste, dass ich Schlangen schlagen

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