Winters Herz: Roman (German Edition)
setze sich aber nicht darauf. Er blieb mit beiden Händen auf der Rückenlehne stehen. »Du hast dich in diese Einsamkeit zurückgezogen, um … hast du eine Art Konversion erlebt? Steckt das dahinter?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Was hat die Sache dann mit deinem Vater zu tun? Wen will er aufsuchen? Vielleicht einen Mann, Cass, ist es das? Hast du jemanden kennengelernt?« Er musterte sie forschend; seinem festen Blick aus den blauen Augen nach zu urteilen, schien er auf Schmerz gefasst zu sein.
»Gewissermaßen. Pete, ich … ich denke, dass das mit hineinspielt. Aber das ist nicht alles. Er ist nicht wirklich ein Mann, Pete, oder besser gesagt nicht einfach nur ein Mann. Er … er ist einfach böse, und er hat mich zu etwas gezwungen.«
»Was? Hat er dir Gewalt angetan?« Pete richtete sich auf. In seinem Blick lag außer Zorn etwas, das sich nur als eine Art Hoffnung deuten ließ. Sie konnte es nicht ertragen, diesen Hoffnungsfunken zu sehen.
»Nein, Pete, er hat mich zu nichts gezwungen, aber er hat mich manipuliert. Pete, er hat mir alles genommen. Er hat mir die Seele geraubt.«
Pete schnaubte erneut. Er stieß den Stuhl so energisch weg, dass er fast umgefallen wäre. »Was? Cass, du wirst allmählichso verrückt wie dein Vater. Du weißt, dass ich damit nichts anfangen kann. Du hast selbst nie an solches Zeug geglaubt. Ich kann mir vorstellen, dass diese Zeit für dich nicht einfach war, aber …«
»Es stimmt aber.«
»Hast du mit ihm geschlafen, ist’s das? Und jetzt kannst du nicht dazu stehen? Ist das der Kern der Sache?«
Sie schüttelte den Kopf, aber nicht verneinend. »Pete, darum geht’s nicht. Ich meine, ja, ich hab mit ihm geschlafen, und das tut mir leid, aber ich dachte, du seist tot. Doch Dad – er versucht meine Seele zu retten.«
Ihr Mann wich ihrem Blick aus, sah sich in der Küche um, als versuche er, sich ihre Anordnung einzuprägen. »Wo ist dieser Kerl?«, fragte er ruhig.
»Er …« Cass merkte, dass sie das nicht bestimmt wusste. »In der Kirche, glaub ich.«
»Er ist also wie der Satan, und er ist in der Kirche. Richtig? Richtig.«
»Pete, Dad versucht mir zu helfen. Glaub mir bitte. Ich war dumm, aber ich habe versucht, das Richtige zu tun. Er hatte Ben in seiner Gewalt, und ich …«
»Er hatte was?«
»Er war Bens Lehrer oder hat sich als Lehrer ausgegeben. Ich weiß, das klingt alles völlig verrückt, aber …«
»Er hatte meinen Sohn?« Petes Stimme klang noch eine Spur ruhiger – und gefährlicher.
»Gewissermaßen. Er …«
Aber Pete hatte sich bereits umgedreht, war auf dem Weg zur Tür. »Überlass das mir«, sagte er, lief hinaus und machte ihr die Tür vor der Nase zu. Cass folgte ihm und wäre fast über Ben gefallen, als sie in die Diele hinauslief. Ben sah angstvoll zu ihr auf, und sie beugte sich hinunter und umarmte ihn. Als sie die Wohnungstür öffnete, war Pete schon nicht mehr zu sehen.
Cass ließ ihre Hände auf die hochgezogenen Schultern des Jungen gelegt. »Liebes«, sagte sie, »du musst etwas für mich tun.« Sie sagte es ihm und wiederholte es, sobald sie ihre Schuhe angezogen hatte und die Schlüssel in der Hand hielt. »Mach auf keinen Fall die Tür auf«, ermahnte sie ihn. »Für niemanden , hörst du?«
Dann küsste sie ihn und lief hinaus, wartete aber noch das Klicken des Sicherheitsriegels ab, bevor sie zur Treppe hastete.
Kapitel 34
Cass rannte hinter ihrem Vater und ihrem Ehemann die Zufahrt hinauf und merkte erst oben an der Straße, dass sie eigentlich das Auto hätte nehmen können; darauf war sie nur nicht gekommen. Dämlich. Nicht gut genug . Sie begann ihr Leben mit Petes Augen zu sehen, und was sie sah, gefiel ihr nicht – vor allem nicht, wie sie zugelassen hatte, dass Remick ihren Sohn in seine Gewalt bekam.
Wir sind deine Familie, hatte Sally Ben versichert, und Cass ballte die Fäuste, wenn sie daran dachte.
Remick ist letztlich doch nur ein Mann, sagte sie sich: ein kauziger Eigenbrötler mit verrückten Ideen, der ein paar gelangweilte Einheimische für sich eingenommen hat. Sie erinnerte sich an Myras triumphierendes Lächeln auf dem Schulhof. Cass war nicht die Erste gewesen, mit der er ins Bett gegangen war, das war klar. Nun, Cass hatte sich idiotisch verhalten, das stand leider auch fest. Sie rannte den Hügel zur Kirche hinauf, die hoch über ihr aufragte, alles Licht zu blockieren schien.
Das Scharren von Holz auf den Steinplatten war laut; sie konnte die
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