Winters Herz: Roman (German Edition)
verknitterten Kleidung. Er schloss die Küchentür hinter ihnen.
Sie öffnete den Mund, aber er sprach zuerst. »Woher hat Ben dieses Mal auf seiner Handfläche?«
Cass merkte, dass sie seinen Blick nicht erwidern konnte, und starrte das Linoleum an. Es wies zahlreiche Abdrücke von schmutzigen Schuhen auf. Wie lange war hier schon nicht mehr geputzt worden?
»Erzähl’s mir, Cass.« Seine Stimme klang sanft.
»Er …« Cass dachte an die Jungen, die im Kreis gesessen hatten: Kinder, die mit Blut einen Pakt schlossen, um Blutsbrüder zu werden. »Er hat mit seinen Freunden Unfug gemacht. Es hat nichts zu bedeuten.«
»Erzähl mir keine Lügen, Cass. Ich kenne solche Male. Ich weiß, was sie bedeuten.«
Warum fragst du dann? In ihrer Brust gähnte eine Leere, in die sich am liebsten verkrochen hätte, um nie mehr hervorzukommen.
»Wo ist er, Cass?«
Sie sah auf.
»Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass du hierher zurückkommst. Das war mir gleich klar, als ich von deinem Umzug gehört habe. Ich wusste, dass du in Gefahr sein würdest, aber ich habe mir eingeredet, die sei längst gebannt. Er hat’s versucht, als du noch klein warst – wusstest du das? Er wollte dich Dinge lehren, aber ist unterlegen, Cass. Er hat verloren. Ich habe euch beide rausgeholt.«
»Was?«
»Cass, du musst verstehen, was … Ich habe geglaubt, das Richtige zu tun, al ich euch verlassen und deine Mutter dazu gezwungen habe, aus Darnshaw wegzuziehen. Als ich ein Mann der Kirche geworden bin, habe ich euch dem Herrn geweiht – weißt du das noch? Ich dachte, das würde euch schützen. Ich dachte, das sei genug.«
Cass blinzelte. Was hatte das damit zu tun, dass er sie verlassen hatte? Er hatte sie verstoßen – er hatte sie nicht mehr gewollt, weil sie nicht gut genug war.
»Ich wusste, dass du’s wieder mit ihm zu tun bekommen würdest – wie denn auch nicht? Ich hatte geschworen, ihn in allen Erscheinungsformen zu bekämpfen, Cass. Ich dachte, wenn ich allein meiner Wege ginge, wärt ihr als Unbeteiligte sicher.« IhrVater versprühte beim Reden Speicheltröpfchen. »Aber ich habe mich getäuscht – ich war ein verdammter Narr, Cass. Ich hätte dich besser wappnen müssen. Ich hab’s versucht, aber … Was hat er getan, Cass?«
Sie versuchte zu sprechen, brachte die Worte nur mühsam heraus. »Er hat sich alles genommen«, sagte sie. »Ich dachte, er sei mein Freund. Daddy, bitte …«
»Aye, das sieht ihm ähnlich. Er ist der Vater aller Lügen, Cass – hast du dir nichts von meinen Lehren gemerkt? Aber Ben … er ist noch ein unschuldiges Kind. Er kann noch nicht verstehen, was er getan hat.«
»Nein, nein, er ist frei. Remick hat’s gesagt.«
»Ah, nennt er sich jetzt Remick?« Er machte eine Pause. »Also gut, wir fahren, bringen euch von hier fort, Ben und dich. Ich komme später allein zurück, wenn ihr in Sicherheit seid.«
Als sie erneut den Kopf schüttelte, starrte er sie forschend an. Im nächsten Augenblick begriff er. »Cass … Gloria. Nein …«
Sie brauchte nicht zu antworten. Er wurde blass, trat einen Schritt zurück, lehnte sich an den Küchentisch und blieb lange in dieser Haltung. Zuletzt beugte er sich zu Cass hinunter und küsste sie auf die Stirn. Dann verließ er die Küche, und sie hörte die Wohnungstür krachend hinter ihm ins Schloss fallen.
Ben kam in die Küche gerannt – von Pete verfolgt, der den Jungen hochhob und herumwirbelte, wobei sein tiefes Lachen sich mit Bens Kichern vermischte. Er sah zu Cass auf, und sein Lachen verstummte schlagartig. »Wo ist dein Dad? Cass, was geht hier vor? Ich dachte, wir wollten fahren?«
»Er … er hat noch was zu erledigen«, sagte Cass hastig.
»Was geht hier vor, Schatz? Irgendwas stimmt hier nicht, hab ich recht? Willst du’s mir nicht erzählen?« Pete beugte sich hinunter und flüsterte Ben etwas ins Ohr. Der Junge lief ins Wohnzimmer, um alles für sein Videospiel vorzubereiten.
»Er muss mit jemandem sprechen. Der Kerl hat Schwierigkeiten gemacht, als Dad noch hier gelebt hat, und jetzt ist er wieder da.«
Pete starrte sie an. »Wie sollte jemand ihm Schwierigkeiten gemacht haben, wo er doch kaum zehn Minuten hier ist … außer du selbst hast welche. Cass?«
»Ach, das ist kompliziert. Du würdest es nicht verstehen, Pete. Die Sache fällt eher ins Fach meines Vaters.«
»Was, eine religiöse Angelegenheit?« Er schnaubte.
Cass starrte zu Boden.
Pete zog einen Stuhl hervor,
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