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Winters Herz: Roman (German Edition)

Winters Herz: Roman (German Edition)

Titel: Winters Herz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Littlewood
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Vibrationen in den Fingerspitzen spüren. Aus dem Inneren der Kirche kamen laute Stimmen. Eine davon gehörte Pete. Sie hörte ihn ausrufen: »… kannst du nicht machen!«
    Ihre Vater stand hinter dem Altar   – mit ausgebreiteten Armen, als predige er leidenschaftlich. Pete stand neben ihm, hatte den Kopf verächtlich in den Nacken geworfen. Remick war nirgends zu sehen.
    Cass’ Schritte hallten, als sie im Mittelschiff nach vorn ging:wie die Braut in irgendeiner bizarren Zeremonie. Auf dem Altar lag ein aufgeschlagenes Buch.
    Ihr Vater hielt irgendetwas über das Buch. Zwischen seinen Händen loderte eine kleine Flamme auf   – ein brennendes Streichholz.
    »Das kannst du nicht machen«, sagte Pete noch einmal.
    Cass wusste nicht, ob er ihre Anwesenheit wahrgenommen hatte, bis Pete kurz zu ihr hinübersah. »Er ist übergeschnappt, Cass«, sagte er. »Er ist imstande und brennt die ganze Kirche nieder.«
    Sie war ihm dankbar, dass er sie angesprochen hatte, aber sie konnte nicht antworten. Sie wusste, was auf dem Altar lag; sie fragte sich, ob ihr Vater ihre Namen darin gesehen hatte   – Bens und ihren eigenen.
    Ihr Vater hielt das Streichholz an das Buch. Es beleuchtete sein Gesicht von unten, verzerrte seine Züge. Zunächst passierte nichts   … dann fing eine Seite Feuer, und die Flamme loderte höher. Sie zischte, ließ kurz nach, wurde stärker. Ein Pergamentfetzen wurde wie eine dunkle Antithese zu Schnee hochgewirbelt. Er ließ sich auf dem Haar ihres Vaters nieder, der ihn wegwischte, sodass ein dunkelgraues Mal auf seiner Stirn zurückblieb. Ihn markierte.
    Pete schnaubte.
    Cass trat vor, konnte es kaum erwarten, das Buch brennen zu sehen. Die Flamme wuchs, nährte sich von den dicken Seiten, verbreitete zischend den Geruch von verbranntem Fleisch. Der innere Kern der Flamme war bläulich.
    Einige Zeit später begann sie zu ersterben. Das Buch war nur noch eine rußige Masse. Nur mehr Fragmente waren übrig geblieben.
    »Geschafft, Cass«, sagte ihr Vater. »Du bist jetzt frei.«
    Sie starrte ihm in die Augen, weil sie hoffte, das könnte wahr sein, aber sie hörte ein Echo von Remicks Stimme: Es steht auch auf seiner Haut geschrieben, nicht wahr? In seinem Herzen   … Auch dein Schicksal steht auf dir geschrieben.
    Remick war nur ein Verrückter; was er sagte, wurde deswegen nicht gleich wahr. Cass rang sich ein Lächeln ab, versuchte ihr Herz aufzumuntern.
    »Komm her«, sagte ihr Vater. Er zeigte auf eine Stelle vor dem Altar.
    Cass trat vor und kniete an der von ihrem Vater bezeichneten Stelle nieder. Er legte ihr eine schwere Hand auf den Kopf. Sie hielt die Augen fest geschlossen.
    »Ich weihe dieses Kind dem Herrn.« Seine Stimme hallte von den Wänden wider. »Ich taufe dich Gloria. Rühme seinen Namen, Gloria. Rühme ihn.« Bei jedem Wort drückte er ihren Kopf etwas weiter herab. Sie beugte sich unter diesem Gewicht. Dabei fragte sie sich, ob ihr Vater vielleicht auch verrückt war. Vielleicht litten hier alle unter derselben Krankheit, die wie ein Krebsgeschwür in ihnen wucherte?
    »Gehe in Frieden«, sagte er, und der Druck wurde plötzlich von ihr genommen.
    Cass sah sich blinzelnd um.
    Pete weigerte sich, ihrem Blick zu begegnen. Er würde sie nie mehr wie früher sehen, das wusste sie. Sie biss sich auf die Unterlippe. Das spiele keine Rolle; sie war jetzt frei   – das hatte ihr Vater gesagt. Ihr Blick verschwamm, und sie sah die Farben hinter ihrem Mann wie zum ersten Mal: leuchtende Farben in einer einfarbigen Welt. Ein Lächeln spielte um ihre Lippen, und sie konzentrierte sich auf das Lapislazuliblau des Gewands der Maria, die ihren Blick mit Remicks Augen erwiderte. Sie erschrak, spürte die Hände ihres Vaters, die sie hochzogen.
    Er sagte etwas über Ben, sagte, dass nun alles vorüber sei und sie ihren Sohn auffordern könne hereinzukommen. Sie sah ihn verständnislos an.
    Die Kirchentür fiel krachend ins Schloss, dann kam Pete mitgrimmiger Miene wieder den Mittelgang entlangmarschiert. Er baute sich vor ihr auf. »Ben ist nicht draußen«, sagte er. »Wo ist er, Cass? Erzähl mir nicht, dass du ihn alleingelassen hast. Sag mir, dass er in Sicherheit ist.«

Kapitel 35
    Sie drängten sich um die Wohnungstür, und Cass musste ihren Vater beiseiteschieben, um den Schlüssel ins Schloss stecken zu können. Sie stieß die Tür auf und glaubte im ersten Augenblick, Ben sei da und spiele eines seiner Computerspiele. Aber als sie blinzelnd genauer hinsah, war das

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