Winters Herz: Roman (German Edition)
zusammengepresst.
»Wenn du willst, können wir wieder nach Hause gehen. Hat der Hund dir wehgetan?«
Er schüttelte den Kopf.
»Dir einen Schreck eingejagt?«
Bens Augen verengten sich, und der unheimliche Glanz war wieder da. Er verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. In seinem Blick lag Hass.
»Ich bin sicher, er hat’s nicht so gemeint. Er ist ein alter Hund, der sich vielleicht erschreckt hat. Wir müssen einfach vorsichtig sein, wenn wir ihm noch mal begegnen, nicht wahr?«
Ben stieß mit einem verächtlichen Zischlaut die Luft aus. Cass spürte seinen warmen Atem auf dem Gesicht.
»Also gut«, flüsterte sie. »Du bist der Boss.«
Normalerweise hätte das ein Lächeln bewirkt, aber Ben sah sie nicht einmal an. Er starrte in die Ferne, bis Cass sich wieder aufrichtete und in Richtung Schule weiterging.
Als sie sich dem Schultor näherten, löste Ben sich von ihr und lief zu einer Gruppe von Kindern. Er stieß einen Jungen an, und die beiden steckten schwatzend und gestikulierend die Köpfe zusammen. Als der andere Junge aufsah, sah Cass ohne Überraschung, dass es Damon war. Sie lächelte ihm zu, aber er starrte sie nur an.
Ben winkte, rannte mit Damon zum Eingang und verschwand im Schulgebäude. Cass blieb stehen. Außer einer der Mütter, die Sally ihr vorgestellt hatte, sah sie hier niemanden, den sie kannte. Moira? Myra? Die Frau hatte glattes rotbraunes Haar, das sie rückenlang trug. Cass lächelte, als ihre Blicke sich begegneten. Die andere Frau sah rasch weg und beugte sich zu ihrerTochter hinunter, um sie auf die Wange zu küssen. Cass presste die Lippen aufeinander. Sie war sicher, dass Myra sie gesehen hatte.
Mr. Remick erschien am Eingang. Er kam auf sie zu, breitete zur Begrüßung die Arme aus. »Freut mich, Sie zu sehen«, rief er.
»Danke, gleichfalls«, sagte Cass und merkte, dass das stimmte. Sie sah zu ihm auf. Eigentlich war sein Gesicht nicht attraktiv zu nennen, nicht mit diesen hohlen Wangen und der leichten Hakennase. Seine Haut war trocken, nicht ganz glatt, sogar etwas pockennarbig, aber seine Augen – die waren schön.
Cass schüttelte den Kopf und versuchte so zu tun, als habe sie ihn nicht angestarrt. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Sie sehen gut aus, Cass. Darnshaw bekommt Ihnen«, sagte Mr. Remick mit halblauter, vertraulicher Stimme. »Ein herrlicher Tag, nicht wahr?«
Sie folgte seinem Blick zu dem jetzt im Sonnenschein liegenden Hügel hinüber. Der Schnee leuchtete vor einem strahlend blauen Himmel.
»Hier wird’s Ihnen gefallen, das weiß ich.« Er streifte ihren Arm so leicht, dass sie nicht sicher sagen konnte, ob sie eine Berührung gespürt hatte, und ging weiter, um die nächste Mutter zu begrüßen.
Als Cass sich abwandte, sah sie, dass Myra sie beobachtete, sie diesmal regelrecht anfunkelte. Das steckte also dahinter: Myra war eifersüchtig. Tatsächlich waren alle Mütter in den neuen Lehrer verknallt, und Sally hatte mit ihrem dummen Geplapper bestimmt schon einige Gerüchte in die Welt gesetzt. Nun, deshalb würde Cass sich keine grauen Haare wachsen lassen. Sie lächelte Myra freundlich zu. Als sie sich zum Gehen umwandte, sah sie Lucys Land Rover auf den Parkplatz fahren. Sie winkte und verfolgte, wie Lucy lächelnd aus dem Wagen sprang und Jessica beim Aussteigen half. Auch Lucy sah Mr. Remick undgrüßte stumm in seine Richtung, aber ihr Blick blieb distanziert. Zumindest sie schien gegen seinen Charme immun zu sein.
»Verrückte Sache mit Mrs. Cambrey«, sagte sie, als Cass herankam.
Cass hatte die Rektorin, mit der sie bisher erst einmal telefoniert hatte, um Ben anzumelden, fast vergessen. »Eine Familienangelegenheit, stimmt’s? Ich frage mich, wie’s ihr wohl geht?« Ihr wurde bewusst, dass Mr. Remick vielleicht nicht mehr lange Schulleiter sein würde.
»Ich hab nichts gehört. Und das werden wir wohl auch nicht, falls Darnshaw noch länger ohne Telefonverbindung bleibt. Wer weiß, vielleicht wäre sie ja schon längst wieder bei uns, sitzt aber wegen der ungeräumten Straßen jenseits der Hügel fest.«
Cass nickte, aber sie war in Gedanken wieder bei ihrer Arbeit, bei den Dateien, die sie ihrem Kunden mailen musste. Damit war ihr Unterbewusstsein schon den ganzen Morgen beschäftigt.
»Alles in Ordnung bei Ihnen?«
»O ja, mir geht’s gut.«
»Sorry. Sie sehen nur ein bisschen müde aus.«
Cass wusste, dass Lucy trotz Mr. Remicks Kompliment von vorhin recht hatte. »Ich hab nicht besonders gut geschlafen.
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