Winters Herz: Roman (German Edition)
Wahrscheinlich muss ich mich noch eingewöhnen. Aber das hat nichts zu bedeuten. Trotzdem nett, dass Sie gefragt haben.«
»Gut, dann kommen Sie«, sagte Lucy und nahm Cass’ Arm. »Ich fahre Sie nach Hause. Ich bestehe darauf. Für mich ist das kein Umweg. Sie können sich mit einer Tasse Tee bedanken und mich durch die Foxdene Mill führen. Ich würde das Gebäude gern mal besichtigen. Ich hab ein Faible für Geschichte, bin aber noch nie in der Mühle gewesen – eigentlich komisch, wo ich ständig dran vorbeifahre.«
»Ich kann Ihnen sogar Kekse anbieten – trotz der Rationierung.«
»Himmel, ist der Laden schon wieder ausverkauft? Lächerlich! Man könnte glauben, wir lebten in der Arktis statt in Saddleworth. Sobald in diesem County ein paar Schneeflocken fallen, kommt alles knirschend zum Stehen.«
Cass stieg in den Land Rover. »Allerdings sind manche Leute besser gerüstet als andere. Ich wollte, ich hätte auch einen Geländewagen.«
Der Rover überwand die leichte Steigung vom Parkplatz zur Straße hinauf mühelos. »Hier ist nicht geräumt«, stellte Lucy fest, »und erst recht nicht gestreut. Das wird jedes Jahr schlimmer. Zu teuer, nehme ich an.«
»Mit meinem Auto schaffe ich’s nicht mal zur Straße hinauf.«
»Haben Sie wenigstens genügend Vorräte?«
»Ja.« Sie würden sich vielleicht etwas einschränken müssen, aber verhungern würden sie nicht.
»Unser Dorfladen ist nur briefmarkengroß, aber in solchen Zeiten fahren wir zu den umliegenden Höfen. Sagen Sie mir, wenn Sie etwas brauchen. Meine Speisekammer ist immer voll.«
»Könnten Sie vielleicht …?«
»Ja? Was kann ich für Sie tun?«
»Na ja, ich frage mich … Hier in Darnshaw funktioniert kein Telefon mehr. Aber wie sieht’s ein paar Meilen weiter bei Ihnen aus? Ich müsste jemandem dringend ein paar Dateien mailen, und falls Sie einen Internetzugang haben …«
»Kein Problem. Gestern Abend hat unser Telefon jedenfalls noch funktioniert. Brennen Sie mir das Zeug einfach auf eine CD .«
Cass lächelte hoffnungsvoll. »Ist das Ihr Ernst?«
»Natürlich.« Lucy wandte sich ihr zu und lachte. »Überhaupt kein Problem. Ich freue mich, einer Beinahe-Nachbarin helfen zu können. Das täten hierzulande die meisten Leute. Schließlich sind wir nicht alle im Mothers’ Club. Ich hab übrigens mitgekriegt, wie Myra Sie angefunkelt hat. Wie kommen Sie auch dazu, unseren männlichen Neuzugang anzubaggern?«
Cass starrte sie mit heruntergeklappter Kinnlade an; dann brachen sie beide in Gelächter aus.
Lucy bog auf die Zufahrt ab und hielt oben an der Straße. Die alte Mühle stand golden vor einem schwarz-weißen Hintergrund. Die Sonne war etwas höher gestiegen, und ihre Strahlen ließen den Stein in Wüstenfarben leuchten. Ein stilles, friedliches Bild. Im weiteren Verlauf des Tals waren kaum andere Häuser zu sehen. Lucy hielt unwillkürlich den Atem an. »Wirklich hübsch. Da kann man nur gratulieren.« Sie ließ den Wagen die Zufahrt hinabrollen.
Cass lächelte unwillkürlich. »Ja, ich hab Glück gehabt«, sagte sie. Wie viele Menschen wohnten schon in einem Gebäude wie diesem, in einer Landschaft wie dieser?
Dann erinnerte sie sich an die stillen Korridore und das Gefühl, als dränge von außen Leere herein. »In der Mühle ist es sehr still«, sagte sie. »Ich glaube, wir wohnen noch allein dort – nur ein anderer Bewohner bekommt täglich seine Zeitung geliefert. Sie wissen nicht zufällig, wer außer uns noch eine Wohnung gemietet haben könnte?«
»Nein, leider nicht. Soviel ich weiß, sind Sie die erste Mieterin. Wenn die Straße wieder befahrbar ist, finden sich bestimmt weitere Interessenten. Dann wird auch weitergebaut, nehme ich an.«
»Hoffentlich. Vielleicht vertreibt das die Mäuse.« Ratten, hatte Ben gesagt.
»Mäuse? Ach du liebe Güte! Na ja, in einem großen leer stehenden Gebäude …«
»Solange sie nicht das Brot anknabbern.« Sie lachten wieder, als sie ausstiegen und zur Haustür stapften. Cass’ eigenes Auto war so dick verschneit, dass von ihm nur noch ein Metallband in Türhöhe sichtbar war. Alles um sie herum war farblos bis aufdas Natursteinmauerwerk der Mühle und die verkratzte rote Eingangstür.
»Sieh sich das einer an!«, rief Lucy aus, als sie näher kamen. Sie trat an die Tür und streckte die Hände nach dem eingeritzten Kreuz aus, ohne es zu berühren.
»Ja, ich weiß«, sagte Cass. »Es sieht schrecklich aus. Und ich glaube nicht, dass die Tür
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