Winters Herz: Roman (German Edition)
eingewöhnt zu haben.«
»Ach Gott, ich komme mir vor wie in der guten alten Zeit. Als wäre ich nie fort gewesen.«
»Sie waren früher schon mal hier?«
»Ich bin von hier«, sagte Mr. Remick grinsend und griff nach seinem Kaffee. »Meine Familie lebt seit Generationen hier – mir gehört das alte Pfarrhaus. Ich hatte schon länger beschlossen, für einige Zeit zurückzukommen, und als Mrs. Cambrey wenig später verreisen musste, habe ich angeboten, sie zu vertreten.«
»Ein Glück für die Schule. Ich hab mich schon gefragt, was Sie hierher verschlagen hat.«
»Oh, ich finde immer wieder nach Darnshaw zurück. Als ob man’s nie ganz verließe.« Er blinzelte ihr zu.
Cass sah rasch zu Ben hinüber, aber er hatte nichts mitbekommen. »Ich hab mich gefragt, wie Sie das Brot organisiert haben. Mrs. Bentley erschien mir nicht übermäßig umgänglich.«
»Sie ist eine gute Seele – wie eigentlich alle. Sie werden’s noch merken.«
Cass versuchte, sich vergeblich ein freundliches Gespräch mit Mrs. Bentley vorzustellen. »Wir müssen los, glaube ich«, sagte sie.
Ben sprang sofort auf, obwohl er sie weiterhin nicht ansah. »Wieso können wir nicht mit dem Auto fahren?«, fragte er. Seine Stimme klang nicht sanft, nicht bettelnd, sondern hart und fordernd. Cass funkelte ihn an.
»Nicht unverschämt werden, Ben.«
Mr. Remick lächelte bedauernd. »Ich würde Ihnen anbieten,Sie mitzunehmen, aber ich fahre nicht oft«, sagte er. »Ich brauche eigentlich gar kein Auto.«
»Wir wollen Ihnen keine Umstände machen. Komm jetzt, Ben. Ein Spaziergang tut uns gut.«
Sie traten in den Schnee und den herabsinkenden Abend hinaus. Cass drehte sich noch einmal um und winkte, aber Mr. Remick war schon wieder hineingegangen. Ben hastete voraus und überhörte ihre Aufforderung, auf sie zu warten.
»Ben, was ist bloß in dich gefahren?«
Er blieb ruckartig stehen, drehte sich jedoch nicht zu ihr um.
Cass holte ihn ein, ergriff seine Hand. Sie lag kalt und schlaff in ihren Fingern. »Wo sind deine Handschuhe? Frierst du nicht an den Händen?«
Ben ließ nicht mal erkennen, ob er sie gehört hatte. Er stand nur da und starrte unter der Kapuze, die sein Gesicht verbarg, in den Schnee.
»Ben? Hast du mich gehört?«
Nichts.
»Ben.«
»Du bist richtig scheiße in deinem Job.« Seine Stimme war ausdruckslos.
»Was?«
Ben entriss ihr seine Hand und stampfte mit geräuschvoll an seine Seiten klatschenden Armen davon.
Cass sah ihm nach. Sie presste eine Hand auf die Tasche, in die sie Lucys Ausdruck gestopft hatte, und hatte plötzlich einen sauren Geschmack im Mund. Ben verschwand bereits mit schlenkernden Armen in der Ferne. Sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, als marschierten dort nur leere Kleidungsstücke davon – fort und hinein in die Düsterkeit. Es war, als ob in ihnen jemand steckte, den sie nicht zu erkennen vermochte.
Ben ließ seinen Rucksack fallen, ging sofort zum Fernseher und hockte sich davor auf den Boden. Als Cass ihre Jacke aufhängte, saß er bereits mit dem Rücken zu ihr vor dem Bildschirm und hatte das Gamepad in der Hand.
Cass sah über seine Schulter. Am unteren Rand ragte ein kurzer MP -Lauf ins Bild, der inmitten einer Wüstenlandschaft mit Sanddünen langsam von einer Seite zur anderen geschwenkt wurde. Über einem Grat tauchte ein Stahlhelm auf. Als Ben einen Feuerstoß abgab, zerplatzte der Helm in einer Blutwolke.
»Ich dachte, dieses Spiel gefällt dir nicht mehr?«
Ben gab keine Antwort. Sein Avatar in Uniform marschierte weiter wachsam die Düne hinauf. Dies war das Spiel, das er mit seinem Vater gespielt hatte. Pete hatte es Spaß gemacht, ihm Anweisungen zu geben, seinem Sohn etwas beizubringen, von dem er viel verstand, und ihn zu lehren, worauf er achten musste. Ben hatte gespannt zugehört und dann so getan, als verteidige er seinen Dad, indem er die bösen Kerle erledigte, bevor sie ihn erledigen konnten.
Zu spät.
Ben warf eine Handgranate in einen Holzschuppen, der in einer gelbroten Stichflamme hochging.
»Gewinnst du?«
Ein weiterer Soldat, dieser mit einem Schal vor dem Gesicht, explodierte zu roten Fragmenten. Eine Hand landete im Sand: zuckend, rote Pixel, blutend.
Cass öffnete den Mund, um den Namen ihres Sohns zu sagen, brachte aber keinen Laut heraus.
Sie ging um den Fernseher herum und sah Ben ins Gesicht. Es war schmal und blass, seine Augen glitzerten. Er blinzelte nicht. Seine Finger waren das Einzige, was sich an ihm bewegte,
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