Winters Herz: Roman (German Edition)
verwandelt worden; in anderen standen Steinaltare heidnischen Ursprungs.
Cass stand auf und ging nach vorn. Ihr gefiel nicht, wie die Farben von den Fenstern über ihre Füße, ihre Kleidung fielen. Sie glaubte, sie fast körperlich spüren zu können.
Der Altar war wuchtig, ein einzelner Steinklotz, unregelmäßig und an den Kanten abgewetzt.
Sie streckte eine Hand aus, legte sie auf den Stein und fragte sich, was sie hier zu finden erwartet hatte. Quer über den Altar zog sich ein schmaler Läufer aus weißem Leinen, auf dem ein silbernes Kruzifix stand. Ein winziger Jesus mit schmerzverzerrtem Gesicht erwiderte ihren Blick.
Cass fuhr mit der Hand über den kalten Stein. Er war uneben, wies vielleicht noch Spuren von der Bearbeitung mit uralten Werkzeugen auf. Als ihre Hand über die Oberfläche glitt, entdeckten ihre Finger darin eine sauber herausgearbeitete Furche. Ihr Zeigefinger folgte dem glatten Kanal. Ein Blick nach untenzeigte ihr, dass die Furche sich über die ganze Länge des Altars erstreckte. Eine Abflussrinne, dachte sie und zog rasch die Hand zurück.
Rituale. Blutrituale aus grauer Vorzeit.
Das hatte nichts zu bedeuten. Die Kirche hatte diese alten Elemente längst absorbiert, sie zu Bestandteilen einer neuen Religion gemacht. Und dieser Stein hatte nun mal genau die richtige Form und Größe für einen christlichen Altar gehabt, das war alles.
Es war interessant, aber ohne Bedeutung.
Kapitel 11
Sie ging durchs Dorf zurück. Überall war es still. In einiger Entfernung sah sie eine Frau, die den Treppenabsatz ihres Hauses mit Handfeger und Kehrblech von Schnee befreite, aber sie richtete sich auf und verschwand nach drinnen, bevor Cass nahe genug heran war, um Hallo sagen zu können.
Auch die Schule lag still da, obwohl Cass glaubte, hinter einem der Fenster eine Gestalt auf und ab gehen zu sehen. Die nächste Straße führte in den Park hinunter, und Cass folgte ihr. Hinter den unbeweglich herabhängenden Schaukeln sah sie die Lücke im Gebüsch, durch die Bert und sein Hund gekommen waren.
Cass sah durch den Spalt, konnte niemanden entdecken und betrat den schmalen Fußpfad, der zwischen weiß verschneiten Brombeerranken verlief.
Der Fluss rauschte zu Tal, gluckste über schwarze Felsen. Die Schneedecke reichte bis ans Wasser, war an den Rändern mit durchsichtigem Eis gesäumt. Die Bäume am Ufer streckten dunkel glänzende Wurzeln in den Fluss. Über ihnen war alles weiß: Felder, Moorland, Himmel. Schnee hing in der Luft.
Auf einem Baum bewegte sich eine Krähe, streckte einen Flügel und eine geschlossene Kralle gleichzeitig aus. Der Ast, auf dem sie saß, war mit Eis überzogen. Alle kleinen Dinge waren schön.
Wo der Weg breiter wurde, stand eine Reihe von Cottages mit Gärten bis zum Fluss hinunter. Cass betrachtete sie neugierig und war schon fast an ihnen vorbei, als sie stehen blieb und sich umdrehte.
Das Gartentor muss mal grün gewesen sein, dachte sie, nicht weiß. Vor ihrem inneren Auge stand ein Bild: ein kleines Mädchen, das am Gartentor hing, damit hin und her schwang, auf das Rauschen des Flusses horchte, vielleicht von weißen Rüschenkleidern oder Lacksandalen träumte oder nur darauf wartete, dass sein Vater heimkam.
Cass ging zurück, betrachtete die Cottages genauer und versuchte zu entscheiden, ob sie sich wirklich an sie erinnerte. Sie fühlte sich innerlich leer. Sie hob den Kopf und sah, dass die Fenster blind waren, nur den eintönig weißen Himmel reflektierten.
Ihr Blick ging zum Flussufer, und sie entdeckte graue Federn im Schnee, wo ein Vogel verendet war. Blut war keines zu sehen, aber es gab säuberlich abgenagte Knochen. Cass sah eine Gelenkpfanne, die zwei Knochen zusammengehalten hatte. Sie runzelte die Stirn. Die Knochen wirkten wie am Boden angeordnet . Sie beugte sich darüber und stellte fest, dass sie einen fast vollkommenen Kreis bildeten. Sie sah erneut zu den Cottages mit ihren blinden Fenstern auf.
Rituale, hatte Lucy gesagt – aus alter Zeit. Aus einer Zeit, lange bevor die Mühle in Apartments umgebaut worden und Cass nach Darnshaw zurückgekehrt war, vermutlich sogar weit vor der Ankunft ihres Vaters.
Aber solche Storys mochten gelangweilten Kindern und Jugendlichen interessant erscheinen. Sie konnten von Darnshaws Geschichte gehört, sich für den Gedanken an Hexerei und Knochen begeistert haben. Vielleicht hatten sie einen toten Vogel gefunden und sich einen Spaß daraus gemacht, seine Gebeine in dieser Weise
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