Winters Herz: Roman (German Edition)
Änderungen zu entfernen und die Website abgabefertig zu machen. Trotzdem hatte sie hier keine Möglichkeit, sie dem Kunden zu schicken. Aber aus der Kleinstadt Moorfoot konnte sie ihn wenigstens anrufen, bevor sie dort einen funktionierenden Computer auftrieb und ihm die Dateien mailte. Klappte auch das nicht, konnte sie ihm die CD per Post schicken.
Sie rieb sich die Augen. Sie hätte gut schlafen sollen, weil sie nach der Arbeit todmüde gewesen war, aber sie fühlte sich trotzdem wie zerschlagen, nicht im Geringsten erfrischt.
Ben stand weiter nur da. »Am besten packst du deinen Rucksack mit ein paar Sachen zum Wechseln. Komm, beeil dich! Und zieh dich warm an. Dort droben ist’s kalt, kälter als hier unten im Tal.«
Es würde eine Erleichterung sein, von hier wegzukommen. Vielleicht würde sie mit Ben sogar zum Arzt gehen.
»Die Schulpflicht ist ein Gesetz«, sagte er. »Ich muss in die Schule.«
Cass warf den Kopf in den Nacken. »In Saddleworth geht die Hälfte aller Kinder heute nicht zur Schule – was wollen sie dagegen machen? Bitte beeil dich.«
Ben machte wieder ein finsteres Gesicht und ging schmollend in sein Zimmer. Diesmal knallte er die Tür hinter sich zu.
Die Sonne stand schon hoch, als sie die Zufahrt zur Straße hinaufgingen. Ein Blick über die Schulter zeigte Cass den sandfarbenen Stein der Mühle in warmen Ocker- und Brauntönen. Dann sah sie wieder Ben an. Normalerweise wäre er auf einer solchen Wanderung vorausgelaufen und hätte im Schnee gespurt, aber heute blieb er zurück, ließ mit mürrischer Miene den Kopf hängen. Seinen Rucksack trug er tiefer als sonst undmit unter die Tragriemen gehakten Daumen. Cass biss sich auf die Unterlippe. Sie wollte ihn auffordern, sich zu beeilen, aber seit gestern Abend wusste sie, dass das eher das Gegenteil bewirken konnte. Stattdessen ging sie rascher, schwang die Arme und hoffte, dass er sich ein Beispiel an ihr nehmen würde. Aber als sie oben an der Straße ankam, war Ben, der ihr schlurfend folgte, noch halb unten.
»Heut kommt er aber zu spät!«, rief eine raue Stimme, und als Cass sich umsah, kam Bert die Straße entlang.
Sie fluchte halblaut. War der Alte eigentlich überall?
Ben schlurfte im Schnee weiter, hinterließ eine eigene Fährte. Dass Bert sie erreichen würde, bevor sie entkommen konnten, stand außer Frage. Cass spürte ein sorgenvolles Kribbeln. Wie würde der Hund sich diesmal verhalten? Ben würde vielleicht Angst vor ihm haben, aber das wollte sie nicht. Sie wollte nicht, dass ihr Sohn für den Rest seines Lebens Angst vor Tieren hatte. Sie konzentrierte sich auf Captain. Der Hund mit der grauen Schnauze folgte Bert auf den Fersen, und sie sah jetzt, dass er angeleint war. Die Leine war lose um Berts Hand geschlungen, die in seiner Tasche steckte, damit sie warm blieb.
Cass unterdrückte ihre Sorge, weil sie sich daran erinnerte, dass Kinder sich von der Furchtsamkeit ihrer Eltern anstecken lassen konnten. »Wir gehen heute nicht zur Schule.« Sie trat einen Schritt zur Seite, damit Ben sehen konnte, wie sie Captain den Kopf tätschelte. Sein leicht öliges Fell verströmte einen warmen animalischen Geruch.
Ben kam weiter den Weg heraufgeschlurft, ohne seine Mutter eines Blickes zu würdigen. Cass widerstand der Versuchung, sich die Hand an ihrer Jacke abzuwischen.
»Wirklich nich’?« Bert sah rasch zu Ben hinüber. »Nichts passiert, hoff ich.«
»Nein, nein. Wir haben nur das Bedürfnis, uns etwas zu erholen. Der Umzugstrubel war ziemlich stressig, und ich möchtemir mehr Zeit für Ben nehmen. Wir wollen ein paar Tage in Moorfoot bleiben, uns die Umgebung ein bisschen ansehen.«
»Aye.« Bert nickte, als habe er genau das erwartet, als sei das etwas, das die Einheimischen für gewöhnlich taten. Er nickte zur Straße hinüber. »’ne ganz schöne Strecke.«
»Ich weiß – aber wir sind gut ausgerüstet. Ich hab eine Thermosflasche mit Suppe und belegte Brote dabei, und wir tragen nicht schwer. Wir kommen schon zurecht.«
»Der Weg durchs Moor wär’ kürzer.«
»Ein Weg?«
Er deutete die Straße entlang. »Geh’n Sie bis zum Zauntritt an Bauer Broath’ Feld. Der Weg führt durch sein’ Hof, dann übers nächste Feld und danach ins Moor raus. Dort seh’n Sie die steh’nden Steine. Halten Sie sich rechts von denen, wenn der Weg verschneit ist. Dann geht’s gerad’aus zur Straße rauf. Die Abkürzung spart mind’stens ’ne Meile.«
»Danke, Bert. Damit haben Sie uns sehr geholfen.«
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