Winters Herz: Roman (German Edition)
seine Zähne, seine rosa Zunge und eine kleine Ansammlung von Speichel sehen konnte. Dann gab er einen Laut von sich, der fast ein Lachen war.
»Ben?«
»Agh … agh … agh …« Er klappte den Mund zu, schluckte trocken und zog dann wie ein Hund knurrend die Lippen hoch, sodass die Zähne sichtbar wurden.
Cass überwand ihre Betäubung und trat auf ihn zu, aber als sie eine Hand ausstreckte, schlug Ben sie weg und zischte dabei wie eine Schlange. Sein Speichel benetzte ihr Gesicht.
»Himmel, was …?«
»Dein Essen war scheiße«, sagte Ben. »Ich wär lieber bei Sally.«
Sie riss empört die Augen auf und wich zurück, als habe er sie geschlagen. Zu ihrer Bestürzung merkte sie, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie blinzelte angestrengt, und das sah Ben.
Er lächelte.
»Geh in dein Zimmer, Ben«, sagte sie mühsam beherrscht. »Sofort.«
Ihr Sohn schob den Stuhl zurück und verließ den Raum. Er beeilte sich nicht, er knallte auch nicht die Tür zu, sondern tat einfach, wozu er aufgefordert worden war, und ging in sein Zimmer. Dort angekommen schloss er sorgfältig die Tür hinter sich.
Dann hörte Cass etwas gegen das Türblatt poltern.
Sie ging auf Strumpfsocken in die Diele hinaus, horchte und glaubte, seine Steppdecke rascheln zu hören. Als sie die Tür öffnen wollte, war die Klinke von innen blockiert.
»Ben, mach auf.«
Schweigen. Sie holte tief Luft. »Ben, ich verlange, dass du sofort aufmachst!« Ihre Hände zitterten. Wäre Pete hier gewesen, hätte er gewusst, was zu tun war. Wäre er hier gewesen, wäre dies nie passiert.
Im nächsten Augenblick hörte sie, wie etwas von der Tür weggenommen wurde, und als sie’s erneut versuchte, ließ die Klinke sich mühelos herunterdrücken, und die Tür schwang auf. Ben schlüpfte gerade ins Bett, zog die Steppdecke über sich, drehte das Gesicht zur Wand.
»Was ist bloß in dich gefahren, Schatz?«
Er gab keine Antwort.
Cass trat ans Bett und berührte den kleinen Hügel unter der Steppdecke mit den Fingerspitzen. »Was hast du, Ben? Möchtest du darüber reden?«
Keine Antwort.
»Wenn dich irgendwas ärgert, kann ich vielleicht helfen.« Cass wartete. Dann streckte sie eine Hand aus und streichelte sein Haar. Es fühlte sich feucht unter ihren Fingern an. Sie seufzte, richtete sich wieder auf. Vielleicht war es am besten, ihn eine Zeit lang allein zu lassen, damit er sich beruhigen konnte. Sie bückte sich und schaltete das Nachtlicht ein, das den Raum mit seinem bläulichen Schimmer erfüllte.
Ben wälzte sich auf die andere Seite. Seine Hand schlängelte sich unter der Decke hervor und schaltete das Licht aus. »Dasbrauche ich nicht mehr«, sagte er und kuschelte sich wieder unter die Steppdecke.
Cass atmete tief durch, dann wandte sie sich ab, schloss die Tür hinter sich und ließ ihren Sohn im Dunkel zurück.
Kapitel 13
Am folgenden Morgen war Ben als Erster aus dem Bett, griff sich seinen Rucksack und warf ihn auf den Boden vor der Wohnungstür. Cass hörte ihn duschen, Als sie mit verquollenen Augen und unangenehm straffer, trockener Haut aus ihrem Zimmer kam, war er mit grauer Hose, Karohemd und blauem Pullover bereits für die Schule angezogen.
»Ich bin fertig«, sagte Ben fast schreiend laut, aber Cass schüttelte den Kopf. Er machte ein finsteres Gesicht.
»Ben, ich habe nachgedacht. Tut mir leid, dass du schon fertig bist, aber du gehst heute nicht in die Schule.«
»Doch, ich gehe. Ich hab Zeichnen bei Mrs. Spencer. Sie sagt, dass ich echt gut bin.«
»Nun, das freut mich, aber ich denke, wir können beide eine Ortsveränderung brauchen. Wir machen eine nette Wanderung übers Moor – die tut uns beiden gut. Erinnerst du dich ans Moor? Es ist so schön.« Sie versuchte sich zu erinnern: War es schön? Sie hatte eigentlich immer nur ein Stück Straße im Nebel gesehen.
»Du lügst.«
Vermutlich, dachte Cass. Sie atmete tief durch. »Du warst in letzter Zeit sehr ungezogen, Ben. Wir müssen uns mal aussprechen, glaube ich. Wir wandern nach Moorfoot hinüber und quartieren uns ein paar Tage in einem Hotel ein. Wir können die Sehenswürdigkeiten besichtigen, in Restaurants essen – wird das nicht nett?«
Er runzelte zwar nicht die Stirn, aber er wirkte auch nicht erfreut.
»Ein kleines Abenteuer«, sagte Cass. Und es würde ihr natürlich die Chance geben, ihren einzigen Kunden umzustimmen und zu behalten. Sie hatte die halbe Nacht damit verbracht, ihr Projekt durchzusehen, alle unerwünschten
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