Winters Herz: Roman (German Edition)
wieder beruhigt hast. Ist irgendwas passiert? Bist du krank, Cassandra?«
»Nenn mich nicht so! Ich hab gesehen, was du ihr angetan hast.« Cass erinnerte sich an Lucys zerstörte Gesichtszüge, an den in ihren Mund gerammten schwarzen Stein. Sie musste einen Brechreiz unterdrücken.
»Ben, deine Mutter ist krank, fürchte ich«, sagte Sally. »Denk daran, dass du jederzeit herkommen kannst. Wir sind deine Familie.«
Cass erstarrte.
»Wir teilen, das weißt du. Wir teilen alles. Wir verbergen uns nicht vor unserer Familie, stimmt’s? Wir weisen niemanden ab, wenn er uns am nötigsten braucht.«
Cass beobachtete, wie ihrem Sohn eine Träne über die Wange lief. Ihr Griff, mit dem sie seinen Arm umklammert hielt, war das einzig Solide in diesem Raum.
»Du sollst nicht mit meinem Sohn reden«, sagte sie und zerrte ihn hinaus.
»Sie spinnt ein bisschen.« Sally folgte ihnen, als begleite sie liebe Gäste zur Tür, aber ihre Stimme war zu laut. »Sie ist ein bisschen durchgeknallt, Ben. Vergiss nicht, dass du jederzeit zu mir kommen kannst.«
Ben blieb zurück, sträubte sich etwas, und Cass’ Finger packten fester zu. Hinter sich hörte sie Schritte, aber sie ignorierte sie, schleppte Ben weiter, hatte Mühe, das Gartentor zu öffnen, und schob ihn hindurch. Als sie sich umsah, standen dort Sally und drei Jungen, deren dunkle Augen sie fixierten.
»Ein bisschen verrückt.« Sallys Stimme klang amüsiert. »Komm bald wieder, Ben. Du wirst uns fehlen. Komm wieder.«
Cass sah von einem ausdruckslos starren Gesicht zum anderen, und keiner der vier wich ihrem Blick aus.
Aus dem Augenwinkel heraus sah sie eine Bewegung im Fenster über ihren Köpfen. Es war ein weißes Fenster mit weißem Holzrahmen. Eine Hand wurde an die Scheibe gedrückt und verschwand wieder.
Cass verschlug es für einen Moment den Atem. Sie versuchte zu schlucken. Ben wand sich in ihrem Griff, aber sie ließ ihn nicht los, als sie jetzt wieder einen Schritt in Richtung Haus machte. »Du hast Jessica«, sagte sie.
Sally warf ihr feuchtes Haar mit einer Kopfbewegung zurück und hob die Hände, um es zu glätten. Ihr Gesichtsausdruck war ernst, als sie Cass’ Blick erwiderte. »Du bist das verrückteste Weibsstück, das ich kenne«, sagte sie.
Damons Mundwinkel zuckten. Er verschränkte die Arme. Ein anderer Junge grinste und stieß seinen Freund an.
»Ich hole sie hier raus«, sagte Cass. »Ich lasse nicht zu, dass ihr etwas geschieht. Verlass dich drauf!«
Damon prustete verächtlich, hob eine Hand, um spöttisch zu winken, und ließ dabei die rote Linie quer über die Handfläche sehen. Die Jungen lachten jetzt ungeniert, und als ein weiterer winkte, zeigte sich, dass auch er dieses rote Mal trug.
Cass packte Ben an der Schulter. »Komm, wir gehen.« Sie schob ihn vor sich her, und er machte roboterhafte Schritte die Straße entlang, blieb nicht zurück, gewann aber auch keinen Vorsprung. Selbst als sie seine Schulter losließ, wurde er nicht langsamer, blieb jedoch auch nicht stehen. Ihre Finger zitterten, sie bekam weiche Knie, und diese Schwäche erfasste ihren ganzen Körper. Sie begann zu zittern. Sie lehnte sich an eine Mauer und rief: »Ben, warte einen Augenblick!«
Das Geräusch seiner Schritte verstummte, aber er drehte sich nicht um.
»Ben, bitte. Komm …« Ihr versagte die Stimme. Sie konnte ihm nichts erklären, ihm nicht schildern, was sie im Moor gesehen hatte.
Er schlurfte widerstrebend zurück, kam aber nicht in Cass’ ausgebreitete Arme. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass er kein Wort gesprochen hatte, seit sie Sallys Haus verlassen hatten.
»Liebes, bitte«, flüsterte sie, und nun kam er zu ihr und vergrub sein Gesicht an ihrer Brust. Sie umschlang ihn mit den Armen, hielt ihn an sich gedrückt, fühlte ihn zittern. »Schon gut, Liebes, ich bin hier«, murmelte sie. »Ich kümmere mich um dich.«
Er wich so plötzlich zurück, dass seine Schädeldecke an ihr Kinn stieß, sodass Cass die Zähne klapperten. Er hob abwehrend eine Hand. Stopp .
»Ben, Sally und Damon sind nicht deine Familie. Ich bin deine Familie, nicht sie. Sie haben etwas Schlimmes gemacht, deshalb müssen wir so schnell wie möglich jemanden informieren.« Cass hoffte plötzlich, das Telefon funktioniere vielleicht wieder und sie werde jemanden anrufen können.
Ben schüttelte den Kopf.
»Schon gut, Schätzchen. Ich lasse nicht zu, dass dir jemand etwas tut.«
Er machte keine Bewegung, sondern stand nur mit erhobenerHand da, bis sie
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