Winters Herz: Roman (German Edition)
kleine Fetzen mit, winzige Stücke der Haut, die Lucy sanft massiert und mit Reinigungsmilch und Feuchtigkeitscreme gepflegt hatte, um möglichst lange jung auszusehen. Haut, die nun grau und zerrissen war. Cass sah zum Himmel auf und schüttelte den Kopf, als versuche sie, diese Tatsache zu leugnen.
Der Himmel blieb stumm, unverändert.
Cass drehte sich um, betrachtete die kleine Gestalt neben ihrer Freundin, ließ sich in den Schnee zurücksinken und schlang die Arme um ihren Oberkörper. »Nein«, flüsterte sie, »nicht Jess, nein. Nicht Jess.«
Sie sah sich nach dem Wrack um, das Lucy gewesen war. Die schwarzen Steine in ihrem Gesicht waren eine abscheuliche Entweihung. Cass war es ihr schuldig, sich von dem möglichen Schicksal ihrer Tochter zu überzeugen. Aber das konnte sie nicht; sie konnte es nicht. Trotzdem kroch sie zu der kleinen Gestalt hinüber, wischte mit bloßen Händen darüber und wünschte sich, der Schnee würde mit einem Schlag abfallen, damit sie schnell Gewissheit hatte. Sie wartete darauf, dass Jessicas Haar sichtbar werden würde, dann die Steine, die ihre Augen waren, und schließlich der zu einem Schrei erstarrte Mund.
Doch sie räumte den Schnee langsam ab, Stück für Stück, behutsam. Das war respektvoller.
Schwarzes Fell unter ihren Fingern.
Cass schrie auf, begann wie wild in den Schnee zu krallen, brach große Stücke heraus und legte Captains Schnauze, seine scharfen weißen Zähne frei. Seine Zunge hing heraus. Sein Fell war dicht und verfilzt. Als sie unter den steif gefrorenen Kadaver griff, spürte sie etwas glattes Rundes und riss die Hände zurück. Kleine rosa Brocken hafteten an ihren Fingern und schmolzen auf der Haut. Sie wischte sie im Schnee ab.
Captain war der Bauch aufgerissen worden. Die Wundränder waren ausgefranst, und die herausquellenden Eingeweide bildeten ein Geschlängel aus Klumpen und Knoten und Stricken, das im Schnee unter Cass’ Füßen verschwand. Sie schlurfte rückwärts und betrachtete prüfend das Gesicht des Hundes, wie seine Lefzen über die Zähne hochgezogen waren.
Er hat noch gelebt . Der Hund hatte noch gelebt, als ihm das angetan worden war. Cass wusste nicht, woher sie das wusste, aber es war eine Tatsache.
»Tut mir so leid«, flüsterte sie und drehte den Kopf von links nach rechts, um alle drei anzusehen.
Als sie wegstolperte, blieb sie mit einem Fuß an irgendwas unter dem Schnee hängen und schlug der Länge nach hin. Dort lag noch etwas. Cass drehte sich um, wollte Lucy in die Augen sehen und begegnete nur einem Blick aus Stein. Sie musste wissen, was dort lag.
Sie grub den Schnee unter ihren Füßen auf, schaufelte ihn mit aufgesprungenen roten Händen weg. Ihre Finger waren so taub, dass sie fast gefühllos waren, aber als sie jetzt in die Tiefe grub, stieß sie auf Widerstand und ertastete etwas, das nicht Schnee war.
Ein seltsamer Laut drang an ihr Ohr: ein stöhnender Klagelaut, der gleich darauf erstarb. Cass biss sich auf die Unterlippe, sah zu den Hexensteinen hinüber …
Das war der Wind, der um die schwarzen Gebilde heulte, sonst nichts.
Sie blickte auf ihre Hände hinunter, die noch im Schnee steckten, und schaufelte weiter.
Unter ihren eigenen kamen andere Finger zum Vorschein – keine zarten Kinderfinger, sondern kräftige, aufgedunsene weiße Finger, die wie Maden aussahen. Cass starrte sie an und musste nochmals würgen. Einer war in der Mitte eingeschnürt, sodass er an ein Paar Würstchen erinnerte. Dort war das Fleisch aufgeplatzt und bildete dunkle Spalten. Der Finger war um einen schlichten Goldring herum angeschwollen.
Trotz der Schwellungen konnte Cass Altersspuren erkennen; dies waren keine Kinderhände, sondern die einer älteren Frau. Ihre Hände waren gefaltet, als habe sie gebetet … als habe sie um Gnade gefleht.
In dieser Haltung waren sie geblieben, auch als jemand den Leichnam beseitigt hatte.
Cass ließ sich auf die Fersen zurücksinken. Sie war ratlos. Sie wusste von sonst niemandem, der aus dem Dorf vermisst wurde, konnte nur daran denken, dass jemand neu nach Darnshaw gekommen war: Theodore Remick.
Wir haben um jemanden wie ihn gebetet.
Mr. Remick, der mit seiner Autorität ausstrahlenden Art hinter dem Schreibtisch mit dem kleinen Namensschild saß, das er wegnahm und in eine Schublade fallen ließ. MRS . CAMBREY . Der es einfach verschwinden ließ. Mrs. Cambrey, deren Verschwinden den Weg für Mr. Remick frei gemacht hatte.
Sie war ermordet worden, bevor er
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