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Winters Knochen

Winters Knochen

Titel: Winters Knochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Woodrell
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jungfräulichen Schnee. Eine Wand war auf den Hof gestürzt. Alle Fenster waren kaputt, die Rahmen hingen lose heraus, verkohlt, mit klirrenden Glasfingern. Es roch nach verkohltem Holz und nach anderen verbrannten Sachen. Ree ging durch die Schneewehen auf der Rückseite. Dort lag, von einer Schneehaube bedeckt, ein Müllhaufen. Große braune Glasbecher, geborstene Trichter, weiße Plastikflaschen, Gartenschläuche. Ree drückte sich vorsichtig zwischen dem Abfallhaufen und der Hauswand hindurch. Sie konnte genug erkennen. Die Küchenspüle hatte die Bodendielen durchbrochen und lag im Dreck, nur der verbogene Wasserhahn ragte aus dem geschwärzten Holz hervor. Weiß verdorrter Katzenschweif stand kinnhoch in den Dielenlöchern. Aschehaufen lagen dort, wo die Möbel gestanden hatten. Eine runde Wanduhr war in der Hitze geschmolzen und heruntergefallen, ergoss sich nun über die Ofenplatte. Der Ofen selbst steckte halb in einem Loch im Boden neben … Katzenschweif. Verdorrter Katzenschweif, der kinnhoch in den Dielenlöchern stand.
    Ree wich langsam vom Haus zurück, machte auf dem Absatz kehrt und ging mit schnellen Schritten zu Blond Milton zurück.
    »Wir können.«
    »Gut, dass du da nicht rein bist.«
    »Du hast es mir gezeigt, jetzt können wir fahren.«
    »Ist schon eine schlimme Sache, wenn der ganze Kram in die Luft fliegt. Jessup und ich hatten ab und zu Streit, aber er war mein Cousin. Ich werd sehen, was ich für dich tun kann.«
    Auf der Rückfahrt sprach Ree kein Wort. Sie zählte Scheunen, um sich zu beruhigen, zählte Zaunpfosten. Autos, die keine Pick-ups waren. Sie biss sich auf die Lippen, biss die Zähne zusammen, zählte, um sich abzulenken, und schmeckte Blut in ihrem Mund.
    Blond Milton nahm den Weg, der zu seiner Seite des Bachs führte. Er hielt bei den drei Häusern. Sie stiegen aus und standen neben dem Pick-up. »Ich weiß, Jessup zu verlieren tut euch richtig weh. Ich weiß, ihr habt ’ne Menge zu stemmen. Vielleicht zu viel.«
    »Wir schaffen das schon.«
    »Sonya und ich haben darüber gesprochen, und wir denken, wir könnten dir Sonny abnehmen. Nicht Harold, denk ich, aber Sonny könnten wir schon nehmen. Damit wäre dir doch schon mal geholfen, oder?«
    »Du willst was?«
    »Wir könnten dir Sonny abnehmen und ihn von nun an aufziehen.«
    »Einen Scheiß werdet ihr.«
    »Hüte deine Zunge, Mädchen. Wir können besser für den Jungen sorgen als du und deine Mama, so viel steht schon mal fest. Und vielleicht können wir ja auch irgendwann Harold nehmen.«
    Ree ging wütend auf die schmale Brücke zu. Blond Milton griff von hinten nach ihrem Arm, doch Ree drehtesich weg. Auf der flachen Brücke blieb sie stehen und rief: »Du Mistkerl! Du wirst auf direktem Weg zur Hölle fahren, wo du in deinem eigenen Fett schmoren wirst! Eher krepieren Sonny und Harold mit mir und Mom in einer verdammten Höhle, als dass sie auch nur eine einzige Nacht in deinem Haus verbringen! Verflucht, Blond Milton! Du hältst mich wohl für total bescheuert oder so was! In dem Haus dort stand der Katzenschweif kinnhoch!«

REE KNALLTE DIE TÜR hinter sich zu, stapfte an den beiden Jungs vorbei zum Schrank in ihrem Zimmer. Sie griff weit hinter die Röcke und Kleider, die dort hingen, bis in die hinterste Ecke, und zog zwei lange Gewehre hervor. Dann ließ sie Schachteln mit Munition in die Taschen von Großmutters Mantel gleiten. Sie nahm die Waffen unter den Arm, nickte den Jungs zu, die ihr zuschauten, und führte sie auf die Seitenveranda. Dann schaltete sie das Außenlicht ein, lehnte die Waffen aufrecht an die Brüstung und begann, sie zu laden.
    »Ich war mir nicht sicher, wann ihr Jungs das mit dem Schießen lernen müsst, aber ich glaube, jetzt ist es an der Zeit. Ihr müsst lernen, wie man mit Gewehren auf das schießt, was erschossen werden muss. Werft ein paar Dosen draußen auf den Hang. Stellt sie ordentlich hin, damit sie umfallen, wenn ihr sie trefft.«
    Sonny und Harold stürzten sich voller Freude auf den Müllhaufen und stellten Ziele auf dem schneebedeckten Hang auf, die im hellen Verandalicht lange, bedrohliche Schatten warfen.
    »Keine Flaschen«, sagte Ree. »Die Glassplitter werden im Frühling auf den Hof gespült, und dann muss ich euch den ganzen verdammten Sommer über verarzten. Nur Dosen und Plastik.«
    Das eine Gewehr war eine doppelläufige Flinte, Kaliber .615, ein auffallend schönes Erbstück mit einem cremeblonden Schaft. Das andere eine alte, schlecht gepflegte .22er, eine

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