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Winters Knochen

Winters Knochen

Titel: Winters Knochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Woodrell
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große, weiche blaue Tasche voller Babysachen stand auf dem Boden. »Ich weiß schon, wenn er
Hochstand
sagt, meint er, er geht rüber und vögelt mit Heather. Was denn sonst? Kontrolliert doch keiner seinen Hochstand zwei Mal die Woche. Hochstand meint doch nur … Er ist schon ewig mit Heather zusammen. Sie ist es, die er eigentlich liebt unddie er eigentlich haben will. Ich bin nur, was er gekriegt hat.«
    Die Gabel erreichte Rees Mund, und sie seufzte beim Herunterschlucken. Sie quetschte noch mehr Ketchup auf die braunen Reste, die in der Pfanne klebten, und kratzte. »Ich finde, er hat großes Glück gehabt, dich zu kriegen, Süße. Das habe ich immer schon gesagt.«
    »Er liebt Heather. Ned und ich sind nur der Trostpreis, mit dem er sich jetzt rumplagt, statt das zu haben, was er wollte.« Gail hob den Kopf, zuckte mit den Schultern und kicherte. »Aber Floyd ist gar nicht so schlimm, ehrlich, er ist nur ein Lügner. Und er macht sich nicht mal die Mühe, einem Lügen aufzutischen, die man auch schlucken kann.«
    »Das sind die Schlimmsten. Die lügen dich an und verkaufen dich im selben Atemzug für blöd.«
    »Ich weiß, ich weiß, aber ich scheiß auf ihn und seinen Hochstand. Was ist mit deinen Problemen?«
    Ree leckte die Gabel ab und ließ sie in die Spüle fallen, dann wischte sie sich mit zwei Fingern den Mund ab. Sie zeigte auf die Jungs, schüttelte den Kopf und meinte: »Ich möchte nicht darüber reden, solange wir hier sitzen.«
    »Willst du immer noch runter nach Reid’s Gap?«
    »Ja. Das dürfte der letzte Ort sein, wo es sich noch lohnt nachzuschauen.«
    Gail hob einen Schlüsselring in die Höhe, klimperte damit und grinste. »Ich hab den alten Pick-up der Schwiegereltern.«
    Ree strahlte und sagte: »Du bist genau so, wie ich mirdas schon immer gedacht hab, Süße.« Sie beugte sich vor und zog sich die Stiefel aus. »Lass mich nur trockene Socken anziehen, dann können wir los.«
    Die Jungs sahen fern, irgendein Meisterwerk über Dandys in tollen Kutschen, mit komischem Akzent und Häusern wie Schlösser. Mom saß in ihrem Schaukelstuhl, starrte besorgt das Baby an und grübelte. Ihr Gesichtsausdruck schwankte zwischen Argwohn und Schuldgefühlen, als versuche sie sich verzweifelt daran zu erinnern, ob sie vielleicht noch ein kleines Ding zur Welt gebracht hatte, das bereits ihrem Gedächtnis entschwunden war. Gail knabberte Tiercracker aus einer kleinen Schachtel in der blauen Tasche. Beim Kauen studierte sie Moms Gesicht. Sie streckte die Hand aus und klopfte Mom auf den Arm, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
    »Das Baby ist Ned, mein kleiner Junge.«
    »Wirklich? Ich habe so viele Tage, das kann ich mir gar nicht vorstellen.«
    »Jawoll, das ist er. Wir haben uns schon eine Weile nicht mehr gesehen, Mom. Wie geht es Ihnen?«
    »Unverändert.«
    »Immer noch?«
    »Eine andere Sorte von unverändert.«
    »Nun, Ihr Haar sieht toll aus.«
    Ree stand auf und stieß mit den Stiefeln gegen den Ofen, damit sie besser saßen. »Mom«, sagte sie, »wir müssen kurz nach Reid’s Gap. Jemanden besuchen.«
    Moms Gesicht beruhigte sich, und sie drehte den Kopf vom Baby weg hin zum Fernseher. Eine große Meutevon Hunden war vor einer alten Kapelle zusammengetrieben worden, um von einem blassen, aber wortgewaltigen Reverend für die Jagd gesegnet zu werden, während Männer in roten Jacken hochherrschaftlich auf schönen unruhigen Pferden saßen und das Amen erwarteten. »Viel Spaß«, sagte Mom.
    Die Nachtkälte überzog die Stufen mit dünnem Eis. Gail trug Ned, und Ree hielt sie auf dem Weg zum Pickup am Arm fest. Der Pick-up war steinalt, mit einem langen, wackligen Schalthebel am Boden und einer Sitzbank, die so abgewetzt war, dass die haarige Füllung und die Federn herausschauten. Gail stellte Ned in der Mitte ab, Ree setzte sich neben ihn. Der Motor erwachte mit einem lauten Husten zum Leben, schwarzer Qualm drang aus dem Auspuff und verteilte sich über den schneebedeckten Hof.
    Der Mond war ein blauer Punkt, der hinter mürrischen Wolken glühte.
    »Weiß deine Mom, was los ist?« fragte Gail.
    »Ich glaub nicht.«
    »Findest du nicht, du solltest es ihr sagen?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Es wäre gemein. Das ist genau die Art von Scheiße, der sie entkommen wollte und wegen der sie verrückt geworden ist.«
    »Außerdem würde sie eh keine Hilfe sein, nehme ich an.«
    »Nein. Das ist meine Sache.«
    Der Pick-up hüpfte über den zerfurchten Weg, kipptemal hierhin, mal dahin.

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