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Winters Knochen

Winters Knochen

Titel: Winters Knochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Woodrell
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Halbautomatik mit einem 16er Magazin, die einen gebrochenen Schaft hatte, der mit Messingschrauben zusammengehalten wurde. Ree hatte mit diesen beiden Waffen schießen gelernt, sie war auf den Feldern von Dad eingewiesen worden und hegte aus diesem Grund eine tiefe Zuneigung zu ihnen. Die Schrotflinte war das Schönste, was sie besaß, sie hatte damit schon Hasen, Tauben und Wachteln gejagt. Die .22er diente dazu, Eichhörnchen von den Bäumen zu holen oder Frösche aus dem Teich. Oder um Gürteltiere daran zu hindern, im Hof Löcher zu buddeln.
    Ree hielt die Schrotflinte hoch und erklärte: »Mit diesem Abzug schießt man aus dem einen Lauf, mit diesem hier aus dem anderen. Es wird wohl nie dazu kommen, dass ihr beide Läufe auf einmal braucht, aber wenn das, was ihr erlegen wollt, groß und gefährlich ist, dann zieht ihr an beiden Abzügen und macht das verdammte Ding alle. Bei den Dosen da reicht ein Abzug nacheinander.«
    Ree ließ erst beide mit der Schrotflinte schießen. Sie hielt ihre Arme ruhig und führte ihre Finger an den Abzug. Wo sie hinschossen, zerstob der Schnee, und bei jedem Schuss wankte der Schütze nach hinten.
    »Ihr glaubt, mit einer Schrotflinte kann man nicht vorbeischießen, aber das kann man. Ihr müsst immer noch gut zielen.«
    »Heiliger Bimbam, ist das laut!« meinte Harold.
    »Hm, schon.«
    Die Jungs schossen wie verrückt auf den schneebedeckten Hang. Sie ließen Dosen explodieren, Milchtüten, Kartons, und jeder Schuss wirbelte Schnee und Dreck auf. Sie schossen bumm-bumm, plink-plink-plink, und der Geruch der Schießerei zog mit dem Wind davon. Ree macht Vorschläge, tätschelte ihre Köpfe, lud nach. Sie zählte die Hülsen und ließ die Jungs schießen, bis nur noch eine Handvoll Munition für jede Waffe übrig blieb.
    »Das reicht«, sagte sie. Sie streckte ihre Arme in die Nacht und nickte, während sie den Geruch der Schießerei einatmete. »Für diesmal haben wir genug Radau gemacht.«
    Sonny ging zu dem Hang hinüber. Er trampelte zerschossene Dosen platt, kickte zerfetzte Kartons in die Dunkelheit, hopste von einem Opfer zum nächsten und summte leise vor sich hin, während er mit stampfenden Füßen die Verletzten erledigte.
    »Mann, Schießen macht richtig Spaß!« meinte Harold.
    »Manchmal.«
    »Wann schießen wir wieder?«
    »Ich werd ganz bald versuchen, bei Bawbee neue Munition zu kriegen.«
    Sonny hielt plötzlich inne und kam zum Haus zurück. »He, wer kommt denn da?«
    Ree trat mit der Schrotflinte in der Hand von der Veranda, Harold folgte ihr mit der anderen Waffe. Das Knirschen näher kommender Schritte trug weit. Eine gebeugteGestalt kam langsam ums Haus und trat auf den Hof. Sie hielt etwas Unförmiges in Händen.
    Die Gestalt sah Ree und die Jungs und die Waffen, blieb stehen, versuchte, die Arme zu heben, bekam aber das Bündel nicht über den Kopf und rief: »Verdammt, Schätzchen, wir sind’s doch nur, ich und mein Baby! Warum um alles in der Welt läuft jeder hier in der Gegend mit ’ner Waffe rum?«
    Als Ree die Stimme hörte, beruhigte sie sich. Freudig rannte sie zu Gail hinüber. Sie ließ die Schrotflinte baumeln, beugte sich vor und gab Gail einen Kuss auf die Stirn. Sie lachte und schubste sie scherzhaft und sagte: »Ich wusste doch, dass du dir den Scheiß nicht lange gefallen lässt. Ich kenn dich gut genug, um zu wissen, dass du irgendwann wieder du selbst bist und dann hier auftauchst. Ich wusste es.«
    Gail berührte mit der freien Hand die Schrotflinte und hob den Lauf, bis er in den Himmel zeigte. »Was um aller Welt ist hier los?« fragte sie.

EIN PICKNICK VON WÖRTERN purzelte aus Gails Mund, wurde aufgesammelt und verkostet. Ree konnte problemlos dem Hier und Jetzt entkommen und sich an viele andere Orte in der Zeit treiben lassen, wenn sie diese Stimme hörte, das leichte Lispeln, den satten Ton, die beruhigend schleppende Aussprache. Sie nickte und nickte, ließ die Gedanken treiben und gabelte abwesend Bratkartoffeln aus der schwarzen Pfanne. Auf halbem Wege zwischen Mund und Bratpfanne hielt sie mit der Gabel inne.
    »Er meinte zu mir, er wolle nur mal seinen Hochstand kontrollieren«, fuhr Gail fort, »glaubst du so einen Scheiß? Bei dem ganzen Schnee und Eis beschließt er, kurz bevor es dunkel wird, zum Lilly Ridge rauszufahren, um nach seinem stinkenden alten Hochstand zu sehen.
Schon wieder
.« Gail saß auf einem Küchenstuhl, Ned lag auf dem Tisch, friedlich in einer Babytrage aus Plastik mit einem dünnen Griff. Eine

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