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Winters Knochen

Winters Knochen

Titel: Winters Knochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Woodrell
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fort, der wie Tränen an ihren Wangen hing, und zog ihre Kapuze enger. Größere Eisschollen rutschten donnernd herab. Schmelzwasser schnitt winzige Rinnsale in den Schnee. Eisklänge und Tropfgeräusche und ihre stampfenden Stiefel. An einer Brücke über einen zugefrorenen Bach blieb sie stehen und sah nach unten. Sie versuchte, durch die pockennarbige Eishaut bis auf den Grund des Wassers zu sehen. Still stand sie da, starrte, stand starrend auf der Brücke, bis ihr aufging, dass ihre Augen unter all dem Eis nach einer Leiche suchten, und sie kauerte sich hin und weinte, weinte, bis ihr die Tränen über die Brust liefen.

ZU HAUSE SCHLIEF SIE , und als sie aufwachte, war die Sonne rot und ging im Westen unter, und alle wollten Essen. Ree spritzte sich an der Küchenspüle Wasser ins Gesicht und trocknete sich an einem verkrusteten Handtuch ab. Auf dem Ofen stand ein Topf mit einem merkwürdig aussehenden Essen, eine Kreation der Jungs. Es roch wie Suppe, sah aber aus wie blutiger Kartoffelbrei. Mom war in ihrem Schaukelstuhl und hielt einen Kochlöffel in der Hand, die Jungs saßen in Flickendecken gehüllt da und schauten fern, eine Sendung für Hobbygärtner, in der man Tipps bekam, wie man Beete für Gemüse anlegte, das sie nie zu essen bekommen würden.
    »He«, fragte Ree, »was ist denn das da in dem Topf auf dem Herd?«
    Harold kam herüber, mit der Flickendecke über dem Kopf, nur sein Gesicht war zu sehen. Er schaute in den Topf, roch daran und runzelte die Stirn.
    »Das war das Abendessen«, sagte er. »Ich und Sonny haben es gemacht, als du nicht nach Hause gekommen bist. Mom meint, wir haben’s zu lange kochen lassen.«
    »Was ist es?«
    »Basketti.«
    »Das sollen Basketti sein? Wie habt ihr die denn gemacht?«
    »Mit Tomatensuppe und Nudeln.«
    »Sieht furchtbar klebrig aus. Habt ihr die Nudeln extra gekocht oder in der Suppe?«
    »In der Suppe. Wozu zwei Töpfe dreckig machen?«
    »So macht man aber keine Basketti. Man kocht die Nudeln extra.«
    »Aber dann hat man zwei Töpfe zu waschen.«
    Ree kniff ihm in die Wange, öffnete den Schrank, schob die Dosen herum und meinte dann: »Ich glaub nicht, dass ich das klebrige Zeug hier mit irgendwas retten kann. Schmeiß es hinter den Schuppen.«
    Ree setzte die große schwarze Pfanne auf und zündete die Gasflamme an. Sie zog die Dose mit dem Schinkenschmalz vom unteren Fach im Kühlschrank und tat ein, zwei Tassen davon in die Pfanne. Sie putzte Kartoffeln und Zwiebeln, schnitt beides klein und ließ sie ins heiße Fett fallen. Dann salzte und pfefferte sie das Ganze. Der Duft zog ins Vorderzimmer und lockte Sonny in die Küche.
    »Das könnte ich ganz allein aufessen«, sagte er.
    »Nimm das und rühr um, wenn …«
    Schnelle Schritte auf der Veranda. Die Tür flog auf, Blond Milton stand da und zeigte mit dem Finger auf Ree. »Weißt du, es gibt Leute, die gehen rum und erzählen, dass du besser deinen Mund halten solltest.« Blond Milton war dem Alter nach Großvater, aber nicht dem Benehmen nach. Er war breitschultrig, hatte einen flachen Bauch, blonde Haare, rote Haut, und meist trug er schmucke Cowboyhemden über gestärkten Jeans mit Bügelfalte.Fast immer war er ordentlich rasiert, roch nach Rasierwasser und war mit zwei Pistolen bewaffnet. »Leute, auf die du hören solltest.« Er hielt die Tür auf und winkte ihr, ihm nach draußen zu folgen. Ree schnappte sich ihren Mantel, ging zu ihm auf die Veranda, und er schleuderte sie die Treppe hinunter auf den Haufen Eis, das im Laufe des Tages vom Dachvorsprung gefallen war. »Steh auf und schwing deinen Arsch in den Truck. Na los.«
    Harold und Sonny standen in der Tür und schauten zu, wie Ree aufstand. Harold hatte den Mund offen stehen, Sonny kniff die Augen zusammen. Er trat vor und sagte: »Du haust meine Schwester nicht.«
    »Soll ich lieber dir eine hauen, Sonny? Mach ich gern, wenn du willst.«
    »Jungs! Geht wieder rein, Jungs. Bratet die Kartoffeln, bis sie braun sind, und dann machst du das Feuer aus, Harold. Los, macht schon.«
    Sonny kam zwei Stufen herunter und sagte: »Niemand haut meine Schwester, der nicht ihr Bruder ist.«
    Blond Milton strahlte geradezu, wie er seinen Sohn da trotzig stehen sah, mit geballten Fäusten und zusammengebissenen Zähnen. Er lächelte stolz, dann trat er vor und verpasste Sonny mit der flachen Hand eine satte Ohrfeige. Sonny ging zu Boden. »Eier zu haben ist ja ganz gut, Sonny«, meinte Milton, »aber du darfst dich dabei nicht zum Affen

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