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Wintersturm

Titel: Wintersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Aus diesem Grunde kaufte er morgens in Wiggins’ Market immer Milch, Brot und Fleisch – stets um zehn Uhr. Nancy verließ das Haus nie vor elf, und selbst dann ging sie immer zu Lowery’s Market, eine halbe Meile weiter die Straße hinab. Mr.
    und Mrs. Wiggins begrüßten ihn inzwischen schon wie einen alten Kunden. Na schön, in ein paar Minuten würde er dort sein, genau nach Plan.
    Hier draußen war kein Spaziergänger zu sehen. Diejenigen, die vielleicht eine Neigung verspürt hatten, an die frische Luft zu gehen, waren wahrscheinlich durch den scharfen Wind entmutigt worden. Er war schon fast an der 6 A angelangt. Er nahm das Gas weg und hielt an.
    Ein unglaubliches Glück. In beiden Fahrtrichtungen kein einziges Auto. Schnell gab er Gas, und der Kombiwagen schoß über die Hauptstraße in den Fahrweg, der hinten am Grundstück der Eldredges entlangführte. Kaltblütigkeit – nur darauf kam es an. Jeder Dummkopf konnte mit einem narrensicheren Plan daherkommen. Aber einen Plan zu haben, der so einfach war, daß er kaum noch als Plan bezeichnet werden konnte – einen Plan, der auf Bruchteile von Sekunden genau überlegt war –, das war echte Genialität. Bereitwillig den Fehlschlag mit einzukalkulieren – einen Drahtseilakt über einem Dutzend von Abgründen so auszuführen, daß niemand zu einem hinblickte, wenn die Tat vollbracht war – so machte man das.
    Zehn vor zehn. Die Kinder waren jetzt vielleicht schon eine Minute draußen. Oh, er wußte genau, was alles passieren konnte. Eines von ihnen könnte vielleicht ins Haus zurückgekehrt sein, um ins Badezimmer zu gehen oder einen Schluck Wasser zu trinken. War aber unwahrscheinlich. Jeden Tag, einen ganzen Monat lang, hatte er sie beobachtet. Wenn es nicht gerade regnete, kamen sie zum Spielen nach draußen.
    Und Nancy kam immer erst zehn oder fünfzehn Minuten später heraus, um nach ihnen zu sehen. Und in diesen zehn oder fünfzehn Minuten gingen die Kinder nie ins Haus zurück.
    Neun Minuten vor zehn. Er steuerte den Wagen in den Feldweg auf ihrem Grundstück. In ein paar Minuten würde die Lokalzeitung gebracht. Heute würde der Artikel erscheinen.
    Durchaus ein Anlaß für Nancy, mit einer Gewalttat zu reagieren… sie ist entlarvt… alle Menschen dieser Stadt sprechen darüber mit Entsetzen in der Stimme, gehen an diesem Haus vorbei, starren…
    Er fuhr den Wagen halb in den Wald hinein. Niemand konnte ihn von der Straße aus sehen. Und sie konnte ihn vom Haus aus nicht sehen. Er stieg schnell aus und eilte im Schutz der Bäume zum Spielplatz der Kinder. Die meisten Bäume hatten ihre Blätter ganz verloren, aber es gab genügend Fichten und Tannen, die ihn abschirmten.
    Er hörte schon die Stimmen der Kinder, noch ehe er sie sah.
    Der Junge, seine Stimme keuchte ein wenig – er war wohl gerade dabei, das Mädchen zu schaukeln… »Wir werden Vati fragen, was wir für Mami kaufen sollen. Ich habe das Geld für uns beide.«
    Das Mädchen lachte. »Schön, Mike, schön. Höher, Mike –
    bitte schaukel mich noch höher.«
    Er schlich sich hinter den Jungen, der ihn in der allerletzten Sekunde hörte. Einen Augenblick lang sah er die erschrockenen blauen Augen und einen Mund, der sich vor Entsetzen zusammenzog, dann bedeckte er beides mit der einen Hand, während er mit der anderen die Nadel durch den wollenen Fausthandschuh stieß. Der Junge versuchte sich loszureißen, wurde dann steif und fiel lautlos zu Boden.
    Die Schaukel kam zurück – das Mädchen rief: »Schubs doch, Mike – mach weiter, nicht aufhören.« Er fing die Schaukel an der rechten Kette auf, hielt sie an und umschlang den kleinen, sich windenden Körper, der gar nicht begriff, was mit ihm geschah. Sorgsam erstickte er den leisen Schrei und stieß die andere Nadel durch den roten Fausthandschuh, auf dessen Oberseite ein Lachgesicht eingesteppt war. Einen Augenblick später holte das Mädchen tief Luft und sackte gegen ihn.
    Er bemerkte nicht, daß sich ein Fausthandschuh an der Schaukel festgehakt hatte und von der Hand abgezogen wurde.
    Mühelos nahm er beide Kinder unter die Arme und rannte mit ihnen zu seinem Wagen zurück.
    Fünf Minuten vor zehn lagen sie zusammengekrümmt unter dem Regenmantel aus Segeltuch. Er setzte den Wagen auf dem Feldweg zurück bis zu der gepflasterten Landstraße hinter Nancys Grundstück. Er fluchte, als er eine kleine Dodge-Limousine auf sich zukommen sah. Sie fuhr ein wenig langsamer, damit er sich in die richtige Fahrspur einordnen konnte,

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