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Wintersturm

Titel: Wintersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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entschuldigt:
    »Liebling, es tut mir wirklich leid. Es ist doch nur deshalb, weil ich so stolz auf dich bin. Ich möchte, daß du es ausstellst.«
    Wie viele dieser Ausbrüche wurden dadurch heraufbeschworen, daß er es leid war, seine und Nancys Unternehmungslust ständig zügeln zu müssen?
    Er holte tief Luft und begann, die Post durchzusehen.
    Genau um Viertel nach zehn riß Dorothy die Tür zu seinem Büro auf. Ihre normalerweise gesunde und rosige Gesichtsfarbe war einem kränklichen aschfahlen Ton gewichen. Er sprang auf und wollte ihr entgegengehen. Aber sie schüttelte den Kopf, stieß die Tür hinter sich zu und streckte ihm die Zeitung entgegen, die sie unter ihrem Arm verborgen hatte. Es war der wöchentlich erscheinende Lokalanzeiger von Cape Cod.
    Dorothy hatte den zweiten Teil aufgeschlagen, den Teil, der immer eine rührselige Geschichte brachte. Sie ließ die Zeitung auf seinen Schreibtisch fallen.
    Wie erstarrt blickten beide auf das große Bild vor ihnen: unverkennbar für jedermann – Nancy. Es war ein Bild, das er nie zuvor gesehen hatte, in ihrem Tweedkostüm, das Haar zurückgekämmt und schon dunkel gefärbt. Die Bildunterschrift fragte: KANN DAS FÜR NANCY HARMON EIN
    GLÜCKLICHER GEBURTSTAG SEIN? Ein anderes Bild zeigte Nancy während des Prozesses beim Verlassen des Gerichtssaals, mit ausdruckslosem Gesicht und wie versteinert.
    Das Haar fiel ihr über die Schultern herab.
    Ein drittes Bild war die Reproduktion eines Schnappschusses und zeigte Nancy, wie sie gerade ihre Arme um zwei kleine Kinder legte.
    Die erste Zeile der Geschichte lautete: ›Irgendwo feiert Nancy Harmon heute ihren zweiunddreißigsten Geburtstag und den siebenten Todestag der Kinder, für deren Ermordung sie schuldig gesprochen wurde.‹
    4
    Es war alles Timing. Das ganze Universum konnte nur bestehen, weil alles auf Sekundenbruchteile aufeinander abgestimmt war. Nun, seine Zeitplanung würde perfekt sein. In großer Eile setzte er den Kombiwagen aus der Garage zurück.
    Der Tag war so düster, daß es schwer gewesen war, durch das Teleskop allzuviel zu sehen, aber er hatte erkennen können, daß sie den Kindern gerade die Mäntel anzog.
    Er fühlte in seine Tasche. Die Spritzen waren da – gefüllt, gebrauchsfertig, um sofortige Bewußtlosigkeit herbeizuführen
    – einen tiefen, traumlosen Schlaf.

    Er spürte, wie ihm unter den Armen und in der Leistengegend der Schweiß ausbrach, und auch auf der Stirn bildeten sich dicke Perlen und rannen ihm die Wangen hinab. Das war nicht gut so. Der Tag war kalt. Er durfte nicht aufgeregt oder nervös erscheinen.
    Er opferte ein paar wertvolle Sekunden, um sich mit dem alten Handtuch, das er immer auf dem Vordersitz liegen hatte, das Gesicht abzutupfen. Gleichzeitig warf er einen kurzen Blick über die Schulter. Einen solchen Regenmantel aus Segeltuch hatten viele Kapbewohner in ihren Autos liegen, besonders in der Jahreszeit, in der geangelt wurde. Das gleiche galt für die Angelruten, die man am Rückfenster sehen konnte.
    Aber der Mantel war groß genug, um zwei kleine Kinder zu bedecken. Er kicherte aufgeregt und riß den Wagen herum in Richtung auf die Route 6 A.
    An der Einmündung dieser Straße zur 6 A lag Wiggins’
    Market. Jedesmal wenn er am Kap war, kaufte er dort ein.
    Natürlich, wenn er länger bleiben wollte, brachte er die wichtigsten Sachen, die er brauchte, mit. Es war zu riskant, allzuoft auszugehen. Es gab immer die Möglichkeit, daß er plötzlich Nancy über den Weg lief und sie ihn erkannte, obwohl er sich äußerlich völlig verändert hatte. Vor vier Jahren wäre es fast passiert. Er war in einem Supermarkt in Hyannis Port gewesen und hatte ihre Stimme hinter sich gehört. Er langte gerade nach einer Dose Kaffee, da griff ihre Hand unmittelbar neben seiner hoch und nahm eine Dose aus demselben Regal. Sie sagte: »Warte mal einen Augenblick, Mike. Ich muß hier noch etwas mitnehmen«, und während er noch wie erstarrt dastand, streifte sie ihn leicht und murmelte:
    »Oh, Verzeihung.«
    Er wagte nicht zu antworten – er stand einfach da –, und sie ging weiter. Er war ganz sicher, daß sie ihn nicht einmal angeblickt hatte. Aber danach hatte er nie wieder eine Begegnung mit ihr riskiert. Trotzdem hielt er es für erforderlich, es so einzurichten, daß er zwar nicht allzuoft, aber doch regelmäßig in Adams Port einkaufte, denn eines Tages könnte es noch wichtig für ihn sein, daß die Leute sein Kommen und Gehen als etwas Alltägliches abtaten.

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