Winterträume
etwas Absonderlicheres als eine Pensionsdame? Jedenfalls hätte ich ein schwarzes Mädchen und würde im Sommer ungefähr acht und im Winter wenn möglich zwei oder drei Gäste beherbergen. Natürlich muss ich das Haus vorher neu streichen und von innen renovieren lassen.«
Harry dachte nach.
»Roxanne, also – natürlich weißt du am besten, was gut für dich ist, aber es ist doch erschreckend, Roxanne. Du bist einmal als Braut hierhergekommen.«
»Vielleicht«, sagte sie, »ist das der Grund, weshalb es mir nichts ausmacht, als Pensionsdame hierzubleiben.«
»Ich erinnere mich da an gewisse Biskuits.«
»Ach, die Biskuits«, rief sie. »Na, so wie du sie angeblich in dich hineingestopft hast, können sie ja nicht ganz und gar schlecht gewesen sein. Ich war so deprimiert an dem Tag, aber als die Krankenschwester mir von den Biskuits erzählte, musste ich trotzdem lachen.«
»Ich habe gesehen, dass die zwölf Löcher von den Nägeln, die Jeff damals in die Wand der Bibliothek geschlagen hat, immer noch da sind.«
»Ja.«
Es wurde jetzt sehr dunkel und die Luft allmählich kühl und frisch; ein kleiner Windstoß ließ einen letzten Blätterregen sprühen. Roxanne zitterte ein wenig.
»Lass uns lieber reingehen.«
Er sah auf die Uhr.
»Es ist spät. Ich muss aufbrechen. Ich fahre morgen wieder nach Osten.«
»Musst du?«
Sie verharrten eine Weile direkt unterhalb der Veranda und sahen zu, wie aus der Ferne, vom See her, ein Mond herbeischwebte, der voller Schnee zu sein schien. Der Sommer war vorbei und nun auch der Altweibersommer. Das Gras war kalt, und weder Nebel noch Tau lag darauf. Sobald Harry sich verabschiedet hätte, würde sie hineingehen und das Gas anzünden und die Fensterläden schließen, und er würde den kleinen Pfad hinuntergehen und dann weiter in die Stadt. Für diese beiden war das Leben schnell gekommen und gegangen, und geblieben war keine Bitterkeit, sondern Bedauern; keine Enttäuschung, sondern nur Schmerz. Als sie sich die Hand gaben, war das Mondlicht schon so hell, dass jeder in den Augen des anderen die Güte sah, die sich dort gesammelt hatte.
Der Schwarm aller Männer
I
Jeden Samstagabend gegen halb elf entzog sich Yanci Bowman unter irgendeinem eleganten Vorwand ihrem Tanzpartner und suchte sich einen günstigen Standpunkt, von dem aus sie die Bar des Countryclubs gut überblicken konnte. Wenn sie ihren Vater entdeckte und er zufällig gerade in ihre Richtung schaute, winkte sie ihn zu sich, andernfalls schickte sie einen Kellner aus, der ihn auf ihre drohende Gegenwart aufmerksam machen sollte. Sofern es noch nicht später als halb elf war – und er noch nicht mehr als eine Stunde mit synthetischen Gin Rickeys hinter sich hatte –, erhob er sich dann meistens von seinem Stuhl und ließ sich dazu bewegen, mit in den Ballsaal zu kommen.
»Ballsaal« – in Ermangelung eines treffenderen Wortes. Es war jener tagsüber mit Korbmöbeln bestückte Saal, der gemeint war, wenn man sagte: »Lass uns reingehen und tanzen.« Man sagte »rein« oder »runter«. Es war der namenlose Raum, in dem die wichtigsten Transaktionen aller Country Clubs in Amerika stattfinden.
Yanci wusste: Wenn es ihr gelang, ihren Vater eine Stunde lang dort festzuhalten, egal, ob er plauderte, ihr beim Tanzen zusah oder – was selten geschah – sogar selber tanzte, dann konnte sie ihn gefahrlos wieder aus ihrer Obhut entlassen. In der Zeit, die von da an noch verblieb, bis der Tanzabend um Mitternacht zu Ende ging, würde er kaum mehr tief genug ins Glas schauen können, um irgendwen zu verärgern.
All das war für Yanci mit beträchtlichen Strapazen verbunden, die sie nicht so sehr um ihres Vaters als vielmehr um ihrer selbst willen auf sich nahm. Im zurückliegenden Sommer hatte es mehrere eher unerquickliche Zwischenfälle gegeben. Eines Abends, als sie wegen des leidenschaftlichen, nicht zu stoppenden Wortschwalls eines jungen Mannes aus Chicago aufgehalten worden war, hatte ihr Vater plötzlich leicht schwankend in der Tür zum Ballsaal gestanden; in seinem attraktiven, geröteten Gesicht versuchten zwei blassblaue, halb zugekniffene Augen, die Tänzer zu fokussieren – offenkundig hatte er vor, sich der erstbesten Witwe von Stand anzubieten, auf die sein Blick fiel. Er war in lächerlichem Maße beleidigt, als Yanci zum sofortigen Aufbruch drängte.
Seit diesem Abend war Yanci dazu übergegangen, ihre Hinhaltetaktik auf die Minute genau zu befolgen.
Yanci und ihr Vater waren die
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