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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Wiedersehen«, sagte er wie zu sich selbst, und als gehorche er einem inneren Zwang, blieb er auf dem Weg zur Tür stehen, und sie sah, wie er den letzten Gegenstand aus der Wand zog und ihn sich in die Tasche steckte.
    Dann öffnete er die Fliegengittertür, ging die Verandastufen hinab und verschwand aus ihrem Blickfeld.
    V
     
    Nach einer Weile ging der saubere weiße Farbanstrich des Curtain’schen Hauses einen endgültigen Kompromiss mit vielen Julisonnen ein und bewies seinen guten Glauben, indem er grau wurde. Er blätterte ab – große Placken spröder alter Farbe bogen sich nach hinten wie alte Männer bei einer grotesken Gymnastikübung und fielen schließlich ins ungemähte Gras, um dort eines Schimmeltods zu sterben. Die Farbe an den Säulen vor dem Haus bekam Schlieren; die weiße Kugel am linken Türpfosten brach ab; die grünen Fensterläden wurden immer dunkler, ehe sie jeden Anschein von Farbigkeit verloren.
    Es wandelte sich zu einem Haus, das von sensibleren Naturen gemieden wurde – eine Kirchengemeinde kaufte das Grundstück schräg gegenüber für einen Friedhof, und das genügte, zusammen mit »dem Haus, in dem Mrs. Curtain und der lebendige Leichnam wohnen«, um diesem Teil der Straße eine gespenstische Aura zu verleihen. Was nicht hieß, dass man Mrs. Curtain allein ließ. Männer und Frauen statteten ihr Besuche ab, trafen sie in der Stadt, wo sie ihre Einkäufe machte, brachten sie im Auto nach Hause – und kamen einen Augenblick mit hinein, um zu reden und sich in dem Glanz zu sonnen, der noch immer in ihrem Lächeln spielte. Männer jedoch, die sie nicht kannten, folgten ihr auf der Straße nicht mehr mit bewundernden Blicken; ein durchsichtiger Schleier hatte sich über ihre Schönheit gelegt und deren Lebendigkeit zerstört, wenn er auch weder Falten noch Fett mit sich brachte.
    In der Stadt wurde sie zu einer Art Persönlichkeit, und man erzählte sich eine Reihe kleiner Geschichten über sie: Als zum Beispiel eines Winters der Boden auf dem Land gefroren war, so dass keine Droschken und Automobile mehr fahren konnten, hatte sie sich selbst das Schlittschuhlaufen beigebracht, damit sie das Lebensmittelgeschäft und die Apotheke schnell erreichen konnte und Jeffrey nicht lange allein lassen musste. Es hieß, seit er gelähmt sei, schlafe sie Nacht für Nacht in einem kleinen Bett neben dem seinen und halte seine Hand.
    Von Jeffrey Curtain sprachen die Leute, als wäre er schon tot. Diejenigen, die ihn gekannt hatten, starben im Laufe der Jahre oder zogen weg – aus dem alten Kreis derer, die zusammen Cocktails getrunken, die Ehefrauen der anderen beim Vornamen genannt und Jeff für den geistreichsten und begabtesten Mann gehalten hatten, der je in Marlowe lebte, war nur noch ein halbes Dutzend übrig. Jetzt war er für den gelegentlichen Besucher höchstens noch der Grund, aus dem Mrs. Curtain sich manchmal entschuldigte und die Treppe hinaufeilte; er war ein Stöhnen oder ein Aufschrei, der von der Gewitterluft eines Sonntagnachmittags ins stille Wohnzimmer getragen wurde.
    Er konnte sich nicht bewegen, war stockblind, taub und vollkommen ohne Bewusstsein. Den ganzen Tag lang lag er in seinem Bett, bis auf die kurze Zeit jeden Morgen, wenn sie ihn in den Rollstuhl setzte, um sein Zimmer herzurichten. Die Lähmung kroch langsam auf sein Herz zu. Anfangs – im ersten Jahr – hatte Roxanne, wenn sie seine Hand hielt, bisweilen noch den Hauch einer Reaktion, einen leisen Druck, gespürt – eines Abends jedoch nicht mehr und von da an nie wieder, und zwei Nächte lang lag sie mit offenen Augen da, starrte ins Dunkel und fragte sich, was da verschwunden war, welcher Teil seiner Seele die Flucht ergriffen hatte und welchen letzten Gran Verstehen die zerrütteten, kaputten Nerven seinem Gehirn wohl noch zutrugen.
    Danach starb die Hoffnung. Ohne ihre unermüdliche Pflege wäre der letzte Funken längst erloschen. Jeden Morgen rasierte und wusch sie ihn, verfrachtete ihn eigenhändig vom Bett in den Stuhl und wieder ins Bett. Sie war unentwegt bei ihm im Zimmer, brachte ihm Medizin, strich sein Kissen glatt, redete mit ihm beinahe so, wie man mit einem fast menschlichen Hund redet, ohne Hoffnung auf Antwort oder Dank, doch mit der diffusen Überzeugung der Gewohnheit – ein Gebet, wenn der Glaube nicht mehr da ist.
    Nicht wenige Menschen, darunter ein berühmter Nervenspezialist, sagten ihr unmissverständlich, dass es zwecklos sei, ihm so viel Pflege angedeihen zu lassen; dass

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