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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Jeff genau und träumte davon, dass ein schattenhaftes Wiedererkennen des früheren Freundes über die zerstörte Seele huschte – doch der Kopf, bleich, gemeißelt, drehte sich mit der einzigen Bewegung, deren er fähig war, nur langsam zum Licht, als tastete irgendetwas hinter den blinden Augen nach einem anderen Licht, das längst erloschen war.
    Diese Besuche erstreckten sich über acht Jahre – zu Ostern, Weihnachten, Thanksgiving und an etlichen Sonntagen war Harry erschienen, hatte Jeff seinen Besuch abgestattet und danach auf der Veranda lange Gespräche mit Roxanne geführt. Er liebte sie hingebungsvoll. Er machte kein Hehl daraus, versuchte aber auch nicht, die Beziehung zu vertiefen. Sie war seine beste Freundin, so wie die Masse Fleisch dort auf dem Bett sein bester Freund gewesen war. Sie war der Frieden, sie war die Ruhe; sie war die Vergangenheit. Von seiner eigenen Tragödie wusste nur sie allein.
    Er war auf der Beerdigung gewesen, doch dann hatte ihn die Firma, für die er arbeitete, an die Ostküste versetzt, und erst eine Geschäftsreise hatte ihn nun in die Nähe von Chicago geführt. Roxanne hatte ihm geschrieben, er solle kommen, wann immer er könne – nach einer Nacht in der Stadt war er in den Zug gestiegen.
    Sie gaben sich die Hand, und er half ihr, zwei Schaukelstühle zusammenzurücken.
    »Wie geht es George?«
    »Gut, Roxanne. Geht anscheinend gern zur Schule.«
    »Es war bestimmt das einzig Richtige, ihn dorthin zu schicken.«
    »Bestimmt –«
    »Vermisst du ihn so sehr, Harry?«
    »Ja – schon. Er ist ein lustiger Bursche –«
    Er erzählte viel von George. Roxanne hörte interessiert zu. Harry solle ihn doch in den nächsten Ferien einmal mitbringen. Sie hatte ihn nur ein einziges Mal gesehen – ein Kind in einem schmutzigen Strampler.
    Sie ließ ihn mit der Zeitung allein, während sie das Essen zubereitete – vier Koteletts hatte sie und ein bisschen spätes Gemüse aus ihrem eigenen Garten. Sie richtete alles an und rief ihn zu Tisch, und als sie sich hingesetzt hatten, unterhielten sie sich weiter über George.
    »Wenn ich ein Kind hätte –«, sagte sie.
    Später, nachdem Harry ihr die wenigen Ratschläge erteilt hatte, die er zum Thema Kapitalanlagen geben konnte, schlenderten sie durch den Garten, hielten ab und zu inne und riefen sich ins Gedächtnis, dass hier eine Zementbank gestanden habe und dort der Tennisplatz gewesen sei…
    »Weißt du noch –«
    Dann überließen sie sich einer Flut von Erinnerungen: der Tag, an dem sie all die Schnappschüsse gemacht hatten und Jeff rittlings auf dem Kalb abgelichtet worden war; und die Skizze, die Harry von Jeff und Roxanne gezeichnet hatte, beide der Länge nach auf dem Gras ausgestreckt, die Köpfe dicht beieinander. Es hatte einen Laubengang als Verbindung zwischen dem Scheunen-Schreibzimmer und dem Haus geben sollen, damit Jeff auch an regnerischen Tagen dorthin gelangen konnte – mit dem Gitter war schon begonnen worden, doch jetzt war nichts mehr davon übrig als ein am Haus befestigtes, zerbrochenes dreieckiges Stück, das einem ramponierten Hühnerstall glich.
    »Und die Mint Juleps!«
    »Und Jeffs Notizbuch! Weißt du noch, wie wir gelacht haben, wenn wir es ihm aus der Tasche zogen und laut daraus vorlasen? Und wie wild er dann wurde?«
    »Rasend! Er war so kindisch, was sein Schreiben anging.«
    Einen Moment lang schwiegen sie beide, dann sagte Harry:
    »Wir wollten uns hier auch ein Haus kaufen, weißt du noch? Die zwanzig Morgen gleich nebenan. Und was für Partys wir dann gefeiert hätten!«
    Erneut entstand eine Pause, die diesmal Roxanne mit einer leisen Frage beendete.
    »Hörst du manchmal von ihr, Harry?«
    »Ja«, gestand er ganz ruhig. »Sie lebt in Seattle. Hat wieder geheiratet, einen Mann namens Horton, so eine Art Bauholz-Magnat. Er ist um einiges älter als sie.«
    »Und benimmt sie sich auch gut?«
    »Ja – ich meine, soweit ich weiß. Sie hat ja alles. Nicht viel zu tun außer sich zum Abendessen für diesen Burschen hübsch zu machen.«
    »Verstehe.«
    Mühelos wechselte er das Thema.
    »Wirst du das Haus behalten?«
    Sie nickte. »Ich denke schon. Ich wohne schon so lange hier, Harry; wegzuziehen ist eine schreckliche Vorstellung für mich. Ich hatte erst überlegt, eine Ausbildung zur Krankenpflegerin zu machen, aber dann müsste ich natürlich von hier weggehen. Ich bin so gut wie entschlossen, Pensionsdame zu werden.«
    »In einer Pension zu wohnen?«
    »Nein. Eine zu führen. Gibt es

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