Winterträume
Jeffrey, wäre er bei Bewusstsein, sich wünschen würde zu sterben; dass er, falls sein Geist irgendwo in höheren Gefilden schwebte, mit keiner solchen Aufopferung ihrerseits einverstanden wäre, sondern nur ungeduldig darauf warten würde, dass das Gefängnis seines Körpers ihn endlich ganz freigab.
»Aber verstehen Sie«, antwortete sie und schüttelte nachsichtig den Kopf, »als ich Jeffrey mein Jawort gegeben habe, sollte das gelten, bis ich aufhören würde, ihn zu lieben.«
»Aber«, wurde tatsächlich eingewandt, »das hier können Sie doch nicht lieben.«
»Ich kann lieben, was es einmal war. Was bleibt mir sonst übrig?«
Der Spezialist zuckte mit den Schultern und ging fort, um zu berichten, dass Mrs. Curtain eine bemerkenswerte Frau sei, geradezu engelsgleich – aber, fügte er hinzu, es sei auch ein Jammer.
»Bestimmt gibt es irgendeinen Mann, oder ein Dutzend Männer, die ganz wild darauf sind, sich ihrer anzunehmen…«
Die gab es – gelegentlich. Hier und da keimte Hoffnung in jemandem auf – die schließlich in Verehrung mündete. Diese Frau trug keine Liebe in sich außer, seltsamerweise, der Liebe zum Leben, zu den Menschen auf der Welt, angefangen beim Landstreicher, dem sie Essen gab, das sie selbst nur schwer entbehren konnte, bis hin zum Schlachter, der ihr über die fleischige Theke hinweg ein billiges Steak verkaufte. Der Rest war irgendwo in jener ausdruckslosen Mumie verschlossen, die, das Gesicht mechanisch wie eine Kompassnadel stets zum Licht gewandt, stumm darauf wartete, dass die letzte Welle ihr Herz überschwemmte.
Nach elf Jahren starb er mitten in einer Nacht im Mai, als der Fliederduft über dem Fenstersims hing und draußen eine sanfte Brise durch das Gekreisch der Frösche und Zikaden wehte. Roxanne wachte um zwei Uhr auf und merkte erschrocken, dass sie zu guter Letzt allein im Haus war.
VI
Danach saß sie viele Nachmittage lang auf ihrer verwitterten Veranda und schaute über die Felder, die in sanften Wellen zur weiß-grünen Stadt hin abfielen. Sie fragte sich, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte. Sie war sechsunddreißig – gutaussehend, stark und frei. Die Jahre hatten das Geld aus Jeffreys Versicherung aufgezehrt; widerstrebend hatte sie sich von dem Land links und rechts von ihr getrennt und sogar eine kleine Hypothek auf das Haus aufgenommen.
Seit dem Tod ihres Mannes war sie von einer großen körperlichen Unruhe ergriffen. Sie vermisste es, sich morgens um ihn zu kümmern, sie vermisste die eiligen Fahrten in die Stadt, die kurzen und dadurch umso intensiveren nachbarschaftlichen Begegnungen beim Schlachter oder im Lebensmittelgeschäft; sie vermisste das Kochen für zwei, die Zubereitung feiner flüssiger Speisen für ihn. Eines Tages, als sie nicht wusste, wohin mit ihrer Energie, ging sie hinaus und grub den ganzen Garten um, eine Arbeit, die seit Jahren nicht getan worden war.
Und nachts war sie allein in dem Zimmer, das die Herrlichkeit ihrer Ehe miterlebt hatte und später den Schmerz. Um Jeff wiederzutreffen, ging sie im Geist lieber zu jenem wunderbaren Jahr zurück, jener starken, leidenschaftlichen Hingabe und Zweisamkeit, anstatt sich auf eine problematische zukünftige Begegnung zu freuen; oft wachte sie auf und sehnte sich nach jenem Körper neben ihr – leblos und doch atmend – immer noch Jeff.
Eines Nachmittags, sechs Monate nach seinem Tod, saß sie in einem schwarzen Kleid, das ihrer Figur die leiseste Andeutung von Rundlichkeit nahm, auf der Veranda. Es war Altweibersommer, alles um sie herum goldbraun; vom Seufzen der Blätter durchbrochene Stille; im Westen eine Vier-Uhr-Sonne, die rote und gelbe Schlieren über einen flammenden Himmel träufelte. Die meisten Vögel waren schon fort – nur ein Spatz, der sich auf dem Sims einer Säule sein Nest gebaut hatte, ließ immer wieder sein Piepsen hören und flatterte zur Abwechslung bisweilen ein wenig in der Luft herum. Roxanne rückte ihren Stuhl so hin, dass sie ihn beobachten konnte, und hing im Schoß des Nachmittags schläfrig ihren Gedanken nach.
Harry Cromwell würde aus Chicago zum Abendessen kommen. Seit seiner Scheidung vor über acht Jahren war er häufig zu Besuch gewesen. Sie hatten eine Art Tradition daraus gemacht – sobald er eingetroffen war, hatten sie gemeinsam nach Jeff gesehen; Harry hatte sich auf die Bettkante gesetzt und mit kerniger Stimme gefragt:
»Na, Jeff, alter Junge, wie geht’s dir denn heute?«
Roxanne stand stets dabei, beobachtete
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