Winterträume
ihren Unmut darüber zu verbergen, dass sich diese Auseinandersetzung so ungewöhnlich lange hinzog, »du kommst kurz mit und wirfst einen einzigen Blick hinein, und wenn es dich langweilt, gehst du gleich wieder.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, danke.«
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich plötzlich um und verschwand in der Bar. Yanci kehrte in den Ballsaal zurück. Im Vorbeigehen streifte sie die Junggesellenriege mit einem Blick, traf rasch ihre Wahl und murmelte einem Mann in ihrer Nähe zu: »Würdest du mit mir tanzen, Carty? Ich habe meinen Partner verloren.«
»Aber gern«, antwortete Carty wahrheitsgemäß.
»Furchtbar nett von dir.«
»Von mir? Von dir, meinst du wohl.«
Geistesabwesend schaute sie zu ihm hoch. Sie war außer sich vor Wut auf ihren Vater. Am nächsten Morgen beim Frühstück würde sie eine verzehrende Kälte verströmen, doch für heute blieb ihr nichts weiter übrig, als abzuwarten und zu hoffen, dass er, sollte es zum Schlimmsten kommen, wenigstens in der Bar bleiben würde, bis der Tanz zu Ende war.
Plötzlich tauchte Mrs. Rogers, die Nachbarin der Bowmans, mit einem fremden jungen Mann neben ihr auf.
»Yanci«, sagte Mrs. Rogers mit einem leutseligen Lächeln. »Ich möchte dir Mr. Kimberly vorstellen. Mr. Kimberly verbringt das Wochenende bei uns, und ich wollte unbedingt, dass er dich kennenlernt.«
»Wie reizend!«, sagte Yanci gedehnt und kaum mehr als förmlich.
Mr. Kimberly forderte Miss Bowman zum Tanzen auf, wozu Miss Bowman leidenschaftslos ihre Einwilligung gab. Sie verflochten ihre Arme in der üblichen Weise und passten ihre Schritte dem Takt der Trommel an. Gleichzeitig schien es Scott, als ob sich der Saal mitsamt den Paaren, die darin umhertanzten, in eine Kulisse für Yanci verwandelte. Die Allerweltslampen, der Rhythmus des Orchesters, das die Paraphrase einer Paraphrase spielte, die Gesichter vieler Mädchen, hübsch, unscheinbar oder albern, verdichteten sich, als hätten sie sich zu einem Gefolge für Yancis matte Augen und tanzende Füße formiert.
»Ich habe Sie beobachtet«, sagte Scott geradeheraus. »Sie wirken heute Abend ziemlich gelangweilt.«
»Ach ja?« In ihren dunkelblauen Augen wurde ein Grenzland zarter Iris sichtbar, als sie sie in einer dezenten Parodie aufrichtigen Interesses etwas weiter öffnete. »Wie absolut töd-lich!«, setzte sie hinzu.
Scott lachte. Sie hatte diesen übertriebenen Ausdruck benutzt, ohne zu lächeln, ja ohne ihm auch nur einen Hauch von Glaubwürdigkeit zu verleihen. Die Adjektive des Jahres – »hektisch«, »famos« und »reizend« – wurden ja oft beiläufig fallengelassen, aber er hatte sie noch nie bar jeglicher Bedeutung sagen hören. Bei dieser lustlosen jungen Schönheit war es unaussprechlich charmant.
Der Tanz endete. Yanci und Scott schlenderten zu einem an der Wand stehenden Sofa, doch bevor sie es in Besitz nehmen konnten, ertönte schrilles Gelächter, und ein stämmiges Fräulein mit einem verlegenen Jüngling im Schlepptau schlitterte an ihnen vorbei und ließ sich auf das Sofa plumpsen.
»Wie ungehobelt!«, bemerkte Yanci.
»Wahrscheinlich ist es ihr Vorrecht.«
»Ein Mädchen mit solchen Fesseln hat keine Vorrechte.«
Sie setzten sich steif auf zwei unbequeme Stühle.
»Woher kommen Sie?«, fragte sie Scott mit höflichem Desinteresse.
»Aus New York.«
Auf diese Mitteilung hin ließ Yanci sich herab, den Blick fast zehn Sekunden lang auf ihn zu richten.
»Wer war der Herr mit der unsichtbaren Krawatte«, fragte Scott taktlos, damit sie ihn noch einmal ansah, »der Sie so mit Beschlag belegt hat? Ich konnte die Augen nicht von ihm wenden. Ist seine Persönlichkeit so amüsant wie seine Aufmachung?«
»Ich weiß es nicht«, sagte sie gedehnt, »ich bin erst seit einer Woche mit ihm verlobt.«
»Mein Gott!«, rief Scott aus, der plötzlich unter den Augen schwitzte. »Entschuldigen Sie vielmals, ich wusste ja nicht…«
»Das war nur ein Scherz«, unterbrach sie ihn mit einem Lachen, das wie ein Seufzer klang. »Ich wollte bloß mal sehen, was Sie dazu sagen würden.«
Sie mussten beide lachen, und Yanci fuhr fort: »Ich bin mit niemandem verlobt. Wer verlobt sich schon mit einem Mauerblümchen.« Wieder die gleiche Tonart, die gleiche schläfrige Stimme, die ihre Bemerkung auf ironische Weise Lügen strafte. »Mich wird nie jemand heiraten.«
»Wie schrecklich!«
»Ja«, murmelte sie, »ich kann nämlich gar nicht leben, ohne andauernd Komplimente zu bekommen, und da
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