Winterträume
nur daran, ob sein Bestechungsgeschenk groß genug war. Gott hatte natürlich Seinen Preis. Gott war, wie es hieß, nach dem Bild des Menschen erschaffen, also musste Er Seinen Preis haben. Und dieser Preis würde aus etwas ganz besonders Auserlesenem bestehen – keine Kathedrale, deren Errichtung sich über viele Jahre hinzog, keine Pyramide, für deren Bau man Zehntausende brauchte, würde dieser Kathedrale, dieser Pyramide gleichkommen.
Er hielt inne. Dies war sein Angebot. Über die Einzelheiten konnte man verhandeln, und Washingtons Erklärung, die erwartete Gegenleistung sei letztlich klein, hatte nichts Unanständiges. Er ließ durchblicken, die Vorsehung könne auf das Geschäft eingehen oder es aber lassen.
Gegen Ende seiner Rede waren die Sätze unvollständig, kurz und unsicher, und sein Körper schien angespannt auf die kleinste Bewegung, das leiseste Flüstern in der Welt ringsumher zu lauschen. Während der Ansprache war sein Haar nach und nach weiß geworden, und nun reckte er den Kopf gen Himmel wie ein Prophet aus längst vergangenen Zeiten: Er war auf großartige Weise verrückt.
John starrte Washington erregt und fasziniert an, und es schien ihm, als ereigne sich irgendwo in der Nähe ein seltsames Phänomen. Es war, als verfinsterte sich der Himmel für einen Augenblick, als brächte ein Windstoß ein unvermitteltes Flüstern mit, den Klang weit entfernter Trompeten und ein Seufzen wie das Rascheln einer großen seidenen Robe. Für eine Weile wurde alles zu einem Teil dieser Verfinsterung: Der Vogelgesang verstummte, die Bäume standen reglos, und von weit hinter den Bergen ertönte das Gemurmel eines dumpfen, drohenden Donners.
Das war alles. Der Wind erstarb im hohen Gras des Tals. Die Morgendämmerung nahm ihren Platz in der Zeit wieder ein, und die aufgegangene Sonne sandte warme Wellen aus gelblichem Dunst aus, die ihren Weg hell erleuchteten. Die Blätter lachten im Sonnenlicht, und ihr Lachen ließ die Bäume erzittern, bis jeder Ast wie eine Mädchenschule im Land der Feen war. Gott hatte das Bestechungsgeschenk abgelehnt.
John betrachtete noch eine Weile den triumphierenden Tag. Dann drehte er sich um und sah ein braunes, geflügeltes Ding, das sich unweit des Sees niederließ, und dann noch eins und noch eins – es war wie ein Tanz goldener Engel, die aus den Wolken herabschwebten. Die Flugzeuge waren gelandet.
John löste sich aus der Deckung des Felsens und rannte den Berg hinunter zum Wald, wo die beiden Mädchen inzwischen aufgewacht waren und auf ihn warteten. Kismine sprang auf, wobei die Juwelen in ihrer Tasche klirrten. Sie hatte eine Frage auf den Lippen, doch John wusste instinktiv, dass jetzt keine Zeit für Worte war. Sie mussten auf der Stelle von diesem Berg hinunter. Er nahm die Mädchen an der Hand, und gemeinsam liefen sie schweigend durch den Wald, wo die Bäume jetzt von Licht und aufsteigendem Nebel umspült wurden. Aus dem Tal hinter ihnen waren nur das entfernte Klagen der Pfauen und die angenehmen Untertöne des Morgens zu hören.
Nach etwa achthundert Metern bogen sie vor der offenen Parklandschaft ab und schlugen einen schmalen Pfad ein, der über die nächste Anhöhe führte. Auf deren Gipfel blieben sie stehen und sahen sich um. Ihre Blicke verharrten auf dem Berg, den sie soeben hinter sich gelassen hatten, bedrückt von der dunklen Ahnung, dass etwas Tragisches bevorstand.
Vor dem Himmel zeichnete sich die Gestalt eines gebrochenen, weißhaarigen Mannes ab, der langsam den steilen Hang hinunterging, gefolgt von zwei riesigen, gleichmütigen Negern, die zwischen sich etwas trugen, das noch immer im Sonnenlicht blitzte und funkelte. Auf halber Höhe schlossen sich ihnen zwei weitere Gestalten an – es waren Mrs. Washington und ihr Sohn, und John sah, dass sie sich auf seinen Arm stützte. Auf dem glatten Rasen vor dem Château waren die Piloten aus ihren Maschinen gestiegen und machten sich, Gewehre in den Händen, daran, in lockerer Formation den Diamantberg zu besteigen.
Die kleine Gruppe über ihnen, auf die sich die ganze Aufmerksamkeit der Betrachter konzentrierte, hatte auf einem Felsabsatz angehalten. Die Neger bückten sich und öffneten etwas, das eine Falltür zu sein schien. Durch sie verschwanden nun alle, der weißhaarige Mann zuerst, dann seine Frau und sein Sohn, schließlich auch die Neger, deren juwelenbesetzte Kopfbedeckungen noch einmal in der Sonne glitzerten, bevor die Falltür sich über ihnen schloss.
Kismine packte Johns
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