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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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sich die scharf konturierten Muskeln unter ihrer feucht schimmernden Haut, und die drei Gestalten standen wieder in regloser, trotziger Ohnmacht unter dem weiten Firmament.
    Nach einer Weile sah der Weiße auf und hob die Arme, als wollte er eine große Menschenmenge veranlassen, ihm zuzuhören – doch hier war keine Menschenmenge, nur die gewaltige Stille des Berges und des Himmels, die lediglich von leisem Vogelgezwitscher in den Bäumen durchbrochen wurde. Die Gestalt auf dem Felssattel sprach jetzt gewichtige, von ununterdrückbarem Stolz erfüllte Worte.
    »Du da oben«, rief er mit bebender Stimme. »Du da!« Er hielt mit noch immer erhobenen Armen inne, das Gesicht aufmerksam himmelwärts gerichtet, als erwarte er eine Antwort. John versuchte zu erkennen, ob vielleicht jemand den Berg herabkam, doch es war kein Zeichen menschlichen Lebens auszumachen – dort oben war nur der Himmel, und im Hintergrund erklang das spöttische Pfeifen des Windes in den Baumwipfeln. War es möglich, dass Washington betete? Für einen Augenblick war John sich nicht sicher. Doch das konnte nicht sein: Alles in der Haltung des Mannes stand in krassem Widerspruch zu einem Gebet.
    »Du da oben!«
    Die Stimme war jetzt kräftig und selbstbewusst. Nein, dies war kein flehentliches Bitten. Vielmehr lag darin eine monströse Herablassung.
    »Du da!«
    Worte reihten sich so schnell aneinander, dass John sie nicht verstehen konnte. Atemlos lauschte er und fing hier und da einen Satzfetzen auf. Die Stimme brach ab, fuhr fort und brach abermals ab, sie klang mal fest und streitlustig, dann wieder war sie mit einer leisen, verwunderten Ungeduld unterlegt. Dem einsamen Zuhörer dämmerte langsam eine Erkenntnis, bei der ihm das Blut rascher durch die Adern floss: Braddock Washington wollte Gott bestechen!
    Das war es – kein Zweifel. Der Diamant, den seine Sklaven hochhielten, war eine erste Anzahlung, ein Versprechen, dass noch mehr folgen würde.
    Das, merkte John nach einer Weile, war der rote Faden, der sich durch das Gesagte zog. Der zu Reichtum gekommene Prometheus griff auf vergessene Opfergaben, auf vergessene Gottesdienste und Gebete zurück, die schon lange vor Christi Geburt nicht mehr gesprochen worden waren. Seine Worte nahmen für eine Weile die Form jener Gebete an, die Gott diese oder jene Gabe, die der Himmel akzeptiert hatte, in Erinnerung riefen: große Kirchen als Gegenleistung für die Verschonung von der Pest, Myrrhe und Gold und Menschen, schöne Frauen und gefangene Armeen, Kinder und Königinnen, Tiere aus Wald und Feld, Schafe und Ziegen, ganze Ernten und Städte und eroberte Länder, die Ihm in lustvollen oder blutigen Ritualen dargeboten worden waren, um Ihn zu beschwichtigen und zum Lohn von Seinem göttlichen Zorn verschont zu werden – und nun bot er, Braddock Washington, Kaiser der Diamanten, König und Hohepriester des Zeitalters des Goldes, Gebieter über Pracht und Luxus, diesem Gott einen Schatz an, wie ihn sich kein Herrscher je erträumt hatte, und er kam nicht als Bittsteller, sondern stolz und hocherhobenen Hauptes.
    Er würde Gott den größten Diamanten der Welt darbringen, fuhr er fort und erging sich in den Einzelheiten. Dieser Diamant würde tausendmal mehr Facetten haben als ein Baum Blätter, und dabei würde er mit derselben Perfektion geschliffen sein wie ein Stein, der nicht größer als eine Fliege war. Viele Männer würden viele Jahre daran arbeiten. Er würde in einem großen Dom aus getriebenem Gold aufgestellt werden, der reich verziert sein würde, mit Toren, die aus mit Saphiren besetzten Opalen bestehen sollten. In der Mitte würde eine Kapelle in das Gold eingelassen sein, beherrscht von einem Altar aus strahlendem, zerfallendem, sich unentwegt wandelndem Radium, das jedem Betenden, der den Blick hob, die Augen blenden würde, und auf diesem Altar würde zum Ergötzen des himmlischen Wohltäters jedes Opfer dargebracht werden, das Gott wollte, und sei es der größte und mächtigste Mann der Welt.
    Als Gegenleistung erwarte er nur eine Kleinigkeit, etwas, das für Gott geradezu lachhaft leicht sei: Alles solle sein, wie es gestern um diese Zeit gewesen sei, und für immer so bleiben. Ganz einfach! Der Himmel solle sich auftun, diese Männer und ihre Flugzeuge verschlingen und sich dann wieder schließen. Und seine Sklaven sollten ihm gesund und munter zurückerstattet werden.
    Es gab niemand anderen, den er je hatte besänftigen, mit dem er je hatte feilschen müssen.
    Er zweifelte

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