Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
Vom Netzwerk:
ihre kleine Faust hinauf zur gewaltigen Wölbung der Marmorkuppel. »Oh, er kommt noch viel zu gut davon – viel zu gut!«
    »M-möchte b-bloß wissen, was der Kerl dir angetan hat, M-Myra.«
    »Ich hoffe, das wirst du nie erfahren.«
    Sie hatten den Seitenausgang erreicht, und er winkte ihr ein Taxi heran.
    »Du bist ein Engel!«, strahlte Myra. »Und ich kann dir gar nicht genug danken.«
    »St-tets gern zu Diensten. Übrigens, was m-machst du mit all den Ringen?«
    Myra betrachtete lachend ihre Hand.
    »Das ist die Frage«, sagte sie. »Ich könnte sie ja an Lady Helena Soundso schicken – und… na ja, ich hatte schon immer ein besonderes Faible für Souvenirs. Sag dem Fahrer ›Biltmore‹, Walter.«

Eher geht ein Kamel…
     
    I
     
    Der müde Blick des erschöpften Lesers, der kurz auf obigem Titel verweilt, wird diesen rein metaphorisch verstehen wollen. Geschichten über Lipp und Kelchesrand, falsche Fuffziger und neue Besen handeln in der Regel nicht von Kelchen, Geld oder Besen. Diese Geschichte ist eine Ausnahme. Sie handelt von einem echten, sichtbaren und lebensgroßen Kamel.
    Wir wollen uns vom Hals zum Schwanz vorarbeiten. Ich möchte Ihnen Mr. Perry Parkhurst vorstellen, achtundzwanzig Jahre alt, Anwalt, Bürger von Toledo. Perry hat schöne Zähne, ein Harvard-Diplom und einen Mittelscheitel. Sie sind ihm schon begegnet, in Cleveland, Portland, St. Paul, Indianapolis, Kansas City und so weiter. Baker Brothers, New York, machen auf ihrer halbjährlichen Reise in den Westen halt, um ihn einzukleiden; Montmorency & Co. schicken alle drei Monate auf schnellstem Weg einen jungen Mann, der zu kontrollieren hat, ob seine Schuhe die richtige Anzahl kleiner Löcher aufweisen. Inzwischen besitzt er einen einheimischen Sportwagen, und wenn er lange genug lebt, wird er eines Tages einen französischen Sportwagen besitzen und zweifellos auch einen chinesischen Panzer, falls dergleichen je in Mode kommen sollte. Er sieht aus wie der junge Mann in der Reklame, der seine sonnenuntergangfarbene Brust eincremt, und jedes zweite Jahr fährt er in den Osten zum Klassentreffen.
    Ich möchte Ihnen seine Angebetete vorstellen. Sie heißt Betty Medill, und sie würde sich gut auf der Leinwand machen. Ihr Vater gibt ihr dreihundert Dollar im Monat für Kleider, sie hat hellbraune Augen und Haare und Federfächer in fünf verschiedenen Farben. Ich möchten Ihnen auch ihren Vater vorstellen, Cyrus Medill. Obwohl er allem Anschein nach aus Fleisch und Blut besteht, gilt er in Toledo, so merkwürdig dies klingen mag, als der Aluminiummann. Wenn er allerdings in Gesellschaft von zwei oder drei Eisenmännern und dem Kiefernholzmann und dem Messingmann am Fenster seines Clubs sitzt, sehen sie allesamt weitgehend so aus wie Sie und ich, nur etwas mehr, falls Sie verstehen, was ich meine.
    Während der Weihnachtsfeiertage des Jahres 1919 fanden in Toledo – und wir beschränken uns auf Gastgeber, deren Lettern in Großbuchstaben geschrieben werden – einundvierzig Abendessen, sechzehn Tanzabende, sechs Lunchpartys für Herren beziehungsweise Damen, zwölf Teegesellschaften, vier Herrenabende, zwei Hochzeiten und dreizehn Bridgeabende statt. Der geballte Effekt all dieser Veranstaltungen bewegte Perry Parkhurst am 29. Dezember zu einem Entschluss.
    Die junge Medill wollte ihn zum einen heiraten und dann doch wieder nicht. Sie amüsierte sich so prächtig, dass sie keine Lust hatte, einen dermaßen endgültigen Schritt zu tun. Unterdessen währte ihre heimliche Verlobung schon so lange, dass es durchaus vorstellbar war, dass sie eines schönen Tages unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen würde. Ein kleiner Mann namens Warburton, der in alles eingeweiht war, überredete Perry dazu, sie zu überrumpeln, sich eine Heiratslizenz zu besorgen, zum Haus der Medills zu gehen und sie vor die Wahl zu stellen, ihn auf der Stelle zu heiraten oder die Sache ein für alle Mal zu beenden. Und so kam es, dass er sich mit Herz, Lizenz und Ultimatum bei ihr einfand, und keine fünf Minuten später war ein heftiger Streit zwischen ihnen entbrannt, ein überraschender offener Kampf, wie sie gegen Ende aller langen Kriege und Verlobungen aufzutreten pflegen. Er löste einen jener gespenstischen Momente aus, in denen zwei Verliebte jäh innehalten, einander kühl beäugen und sich fragen, ob nicht alles ein Missverständnis war. Danach tauschen sie für gewöhnlich herzhafte Küsse und versichern einander, dass die Schuld bei einem selbst

Weitere Kostenlose Bücher