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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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wären, wenn Selbstmord nicht so feige wäre!
    Eine Stunde später war es sechs Uhr abends, und Perry hatte nicht mehr die geringste Ähnlichkeit mit dem Mann aus der Reklame. Er sah aus wie die flüchtige Skizze für eine zügellose Karikatur. Sie sangen ein Lied, das Baily aus dem Stegreif gedichtet hatte:
»Ein Mann mit Namen Perry, der Löwe der Salons,
Trinkt seinen Tee bekanntlich mit größter Elegance,
Er spielt mit seiner Tasse,
Doch Lärm, den macht er nie,
Dann hält er sie gelassen und friedlich auf dem Knie –«
    »Problem iss nur«, sagte Perry, der sich mit Bailys Kamm die Haare in die Stirn gekämmt hatte und sich eine orangerote Krawatte um den Kopf band, um wie Julius Cäsar auszusehen, »dass ihr Brüder einfach nich sing könnt. Sobald ich Tenor sing, singt ihr auch Tenor.«
    »Bin Tenor von Natur aus«, sagte Macy gewichtig. »Stimme iss blossnich ausgebildet. Aber Naturtalent, hat meine Tante immer gesagt. Zum Sing geborn.«
    »Sänger, Sänger, lauter gute Sänger«, sagte Baily am Telefon. »Nein, nein, nix da Varieté! Will ’n Nachtgrog, äh, ’n gottverdammten Nachtservice – was zu essen! Ich will –«
    »Julius Cäsar«, verkündete Perry, der sich vom Spiegel abwendete. »Eisernerwille und Unbeugsameschlosneit.«
    »Ruhe!«, rief Baily. »Mr. Baily am Apparat. Riesiges Abendessen raufschicken. Entscheidense selbst. Aber pronto.«
    Nicht ohne Schwierigkeiten bugsierte er den Hörer zurück auf die Gabel; dann ging er mit zusammengepressten Lippen und einem Ausdruck finsterer Entschlossenheit in den Augen zu seiner Kommode und riss die untere Schublade auf.
    »Aufgepasst!«, befahl er. In Händen hielt er ein abgeschnittenes Kleidungsstück aus rosa Baumwolle.
    »Hose«, sagte er feierlich. »Aufgepasst!«
    Es folgten eine rosa Bluse, eine rote Krawatte und ein Tellerkragen.
    »Aufgepasst!«, wiederholte er. »Kostüm fürn Zirkusball bein Townsends. Ich bin nämlich der kleine Junge, der den Elefanten Wasser bringt.«
    Perry war unwillkürlich beeindruckt.
    »Ich geh als Julius Cäsar«, erklärte er nach kurzem Nachdenken.
    »Dachte, Sie gingen nicht hin!«, sagte Macy.
    »Ich? Klar geh ich. Geh auf jede Party. Gut für die Nerven – wie Sellerie.«
    »Cäsar!«, schnaufte Baily verächtlich. »Cäsar geht nicht. Hat nix mit Zirkus zu tun. Iss Shakespeare. Gehense als Clown.«
    Perry schüttelte den Kopf.
    »Nee; Cäsar.«
    »Cäsar?«
    »Klar. Streitwagen.«
    Baily begann zu verstehen.
    »Ach so. Gute Idee.«
    Perry sah sich suchend um.
    »Sie leihn mir ’n Bademantel und ’ne Krawatte«, sagte er dann.
    Baily überlegte.
    »Blödsinn.«
    »Doch, mehr brauchich nich. Cäsar war ’n Wilder. Die könnmich nich rauswerfen, wenn ich als Cäsar komm, wenn Cäsar ’n Wilder war.«
    »Nein«, sagte Baily und schüttelte bedächtig den Kopf. »Besorgense sich ’n Kostüm im Kostümverleih. Bei Nolak.«
    »Hat zu.«
    »Wollnwer doch mal sehn.«
    Nach irritierenden fünf Minuten am Telefon konnte eine müde Fistelstimme Perry davon überzeugen, dass Mr. Nolak am Apparat war und dass sein Kostümverleih wegen des Balls der Townsends bis um acht Uhr geöffnet hatte. Solchermaßen beruhigt aß Perry eine gewaltige Menge Filet Mignon und trank sein Drittel der letzten Flasche Champagner. Um Viertel nach acht sah der Mann mit dem Zylinderhut, der vor dem Clarendon stand, wie Perry seinen Sportwagen zu starten versuchte.
    »Vereist«, sagte Perry einsichtig. »Liegt an der Kälte. Kalte Luft.«
    »Vereist, was?«
    »Ja. Von der kalten Luft.«
    »Springt nicht an?«
    »So isses. Lass ihn hier bis zum Sommer. Im August taut er sicher auf, wenn’s erst richtig heiß iss.«
    »Er soll hier stehen bleiben?«
    »Klar. Soll stehn bleim. Wer den stehln will, braucht heiße Hände. Rufense Taxi.«
    Der Mann mit dem Zylinder winkte ein Taxi heran.
    »Wohin, Mister?«
    »Fahrnse zu Nolak, dem Kostümfritzen.«
    II
     
    Mrs. Nolak war klein und wirkte verschüchtert; nach dem Ende des Weltkriegs war sie eine Zeitlang Angehörige einer der neuen Nationen gewesen, doch die unsicheren Zustände in Europa hatten es mit sich gebracht, dass sie seither nie mehr rechte Gewissheit über ihre Nationalität hatte erlangen können. Der Laden, in dem sie und ihr Ehemann ihrer täglichen Arbeit nachgingen, war dunkel und gespenstisch, bevölkert mit Ritterrüstungen und chinesischen Mandarinen und riesengroßen Vögeln aus Pappmaché, die von der Decke hingen. Aus einem schummerigen Hintergrund glotzten Reihen

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