Winterträume
Garten hinausging, war sie eine überaus beherrschte junge Schönheit mit trockenen, kühlen Augen, unter denen nur schwache Schatten lagen. Der Boden, fest und gefroren, kündigte den Winter an, und sie fand grauen Himmel und dumpfe Luft irgendwie tröstlich und zu ihrer Stimmung passend. Es war ein Tag zum Nachdenken, und sie musste nachdenken.
Und dann, als sie um eine Ecke bog, sah sie plötzlich Knowleton vor sich auf einer Steinbank sitzen, den Kopf in den Händen, in einer Haltung tiefster Niedergeschlagenheit. Er trug noch immer dieselben Kleider wie am vergangenen Abend; ganz offensichtlich war er überhaupt nicht zu Bett gegangen.
Er hörte sie erst, als sie ganz nah bei ihm war: Ein trockener Zweig, der unter ihrem Fuß knackte, ließ ihn müde aufblicken. Die Nacht hatte verheerende Spuren hinterlassen – sein Gesicht war leichenblass, seine Augen rotgerändert, geschwollen und müde. Er sprang auf, mit einem Gesichtsausdruck, der sehr nach Furcht aussah.
»Guten Morgen«, sagte Myra leise.
»Setz dich«, begann er fahrig. »Setz dich, ich möchte mit dir reden. Ich muss mit dir reden!«
Myra nickte, nahm neben ihm auf der Bank Platz, umfasste ihre Knie mit den Händen und schloss halb die Augen.
»Myra, um Himmels willen, hab Mitleid mit mir!«
Sie warf ihm einen fragenden Blick zu.
»Was meinst du?«
Er stöhnte auf.
»Myra, ich habe etwas Entsetzliches getan – dir, mir, uns. Es gibt nichts, was ich zu meiner Verteidigung sagen könnte – ich habe mich ganz einfach erbärmlich benommen. Eine Art Wahnsinn muss mich befallen haben.«
»Du musst mir schon erklären, wovon du da sprichst.«
»Myra… Myra« – wie alle großen, trägen Massen war sein Geständnis offenbar nur schwer in Bewegung zu bringen –, »Myra, Mr. Whitney ist nicht mein Vater.«
»Du meinst, du wurdest adoptiert?«
»Nein, ich meine… Ludlow Whitney ist natürlich mein Vater, aber der Mann, den du kennengelernt hast, ist nicht Ludlow Whitney.«
»Ich weiß«, sagte Myra kühl. »Das ist Warren Appleton, der Schauspieler.«
Knowleton sprang auf.
»Wie um alles –«
»Oh«, log Myra elegant, »ich habe ihn schon am ersten Abend erkannt. Ich sah ihn vor fünf Jahren in The Swiss Grapefruit. «
Bei diesen Worten schien Knowleton endgültig zusammenzubrechen. Kraftlos sank er auf die Bank zurück.
»Du wusstest Bescheid?«
»Natürlich! Was kann ich dafür? Ich habe mich nur gefragt, was das alles bedeuten sollte.«
Mit gewaltiger Anstrengung versuchte er sich zu fassen.
»Ich will dir die ganze Geschichte erzählen, Myra.«
»Ich bin ganz Ohr.«
»Also, es fängt mit meiner Mutter an – meiner richtigen, nicht der Frau mit diesen idiotischen Hunden; sie ist körperbehindert, und ich bin ihr einziges Kind. Ihr einziger Lebensinhalt bestand immer nur in dem Wunsch, mich standesgemäß zu verheiraten, und ihre Vorstellung von einer standesgemäßen Heirat ist untrennbar verbunden mit einer angesehenen gesellschaftlichen Stellung in England. Ihre größte Enttäuschung war, dass sie kein Mädchen gebar, das einen Titel hätte heiraten können; stattdessen wollte sie mich nach England schleifen – mich mit der Schwester eines Earls oder der Tochter eines Herzogs verheiraten. Bevor sie mich diesen Herbst allein hier wohnen ließ, musste ich ihr sogar versprechen, mit keinem Mädchen mehr als zweimal auszugehen. Und dann traf ich dich.«
Er hielt eine Sekunde inne und fuhr dann ernst fort: »Du warst das erste Mädchen in meinem Leben, bei dem ich überhaupt ans Heiraten gedacht habe. Du hast mich betört, Myra. Es war beinah so, als hättest du mich durch irgendeine unsichtbare Macht dazu gezwungen, dich zu lieben.«
»Habe ich auch«, murmelte Myra.
»Jedenfalls, dieser erste Rausch hielt eine Woche an, da kam eines Tages ein Brief von Mutter, sie würde irgendein wunderbares englisches Mädchen mitbringen, eine Lady Helena Soundso. Und am selben Tag erzählte mir ein Mann, er hätte gehört, ich sei der berühmtesten Heiratswütigen von ganz New York ins Netz gegangen. Weißt du… zwischen diesen beiden Neuigkeiten bin ich fast verrückt geworden. Ich bin in die Stadt gefahren, um dich zu sehen und alles abzublasen… ich kam gerade bis zum Eingang des Biltmore und traute mich nicht weiter. Ich fing an, wie ein Wahnsinniger auf der Fifth Avenue herumzuirren, und da traf ich Kelly. Ich erzählte ihm die ganze Geschichte – und eine Stunde später hatten wir diesen scheußlichen Plan ausgeklügelt. Es
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