Winterträume
Beziehung irrte er sich oft. Zwar wusste er selbst am besten, wann er geschludert und wann er sich Mühe gegeben hatte, doch als Richter in eigener Sache ist auf ihn kein Verlass. Diese Einschätzung treffen wir freilich aus der relativen Sicherheit historischer Distanz und mit dem Überblick über das Gesamtwerk. Für Fitzgeralds Zeitgenossen sah die Sache anders aus. Da war der junge Autor mit seinem Urteil über sich selbst keineswegs allein. Auch namhafte Literaturkritiker unterschieden zwischen dem Fitzgerald der »seriösen« Romane und jenem der kommerziellen Magazine; und sie fürchteten, der Zweite riskiere, den Ruf des Ersten zu ruinieren.
Der vorliegende Band enthält dreiundzwanzig Texte Fitzgeralds: zweiundzwanzig Erzählungen aus den Jahren 1920 bis 1924 sowie das 1937 niedergeschriebene autobiographische Zeugnis ›Früher Erfolg‹. Die Stories zeigen den Autor auf dem Weg zum Roman Der große Gatsby, seinem Meisterwerk. Siebzehn der zweiundzwanzig Texte nahm Fitzgerald in die drei Erzählungsbände auf, die er in den 1920er Jahren publizierte: Flappers and Philosophers (1920), Tales of the Jazz Age (1922) und All the Sad Young Men (1926). Flappers and Philosophers erschien im selben Jahr wie der Romanerstling; nach dessen überraschendem Publikumserfolg sollte er das Interesse an dem jungen Autor wachhalten. Das Zelda gewidmete Buch enthielt acht Stories und verkaufte sich mit 15000 Exemplaren in zwei Jahren ziemlich gut. Die Kritiken waren unterschiedlich; einige Rezensenten werteten die eher leichtgewichtigen Geschichten nach dem formal ehrgeizigen Paradies -Roman als Enttäuschung; H. L. Mencken wies im Smart Set als einer der Ersten auf die zwei Gesichter Fitzgeralds als Autor hin. Dieser selbst sandte dem bekannten Literaturkritiker ein Exemplar des Buchs, in welchem er die Geschichten in drei Kategorien einteilte: Vier bezeichnete er als »lesenswert«, eine als »amüsant«, drei als »Mist«.
Unsere Auswahl beginnt mit einer jener Geschichten, die Fitzgerald als »Mist« qualifizierte. Schon sie zeigt, wie wenig wir dem Urteil des Autors über sein eigenes Werk trauen dürfen. ›Kopf und Schultern‹ mag im Vergleich mit Fitzgeralds besten Erzählungen ein Leichtgewicht sein, aber es ist ein romantisches Märchen mit Witz und Charme, das sich um ein höchst gegensätzliches Paar dreht: Ein so eifriger wie weltfremder junger Intellektueller, der schon als Siebzehnjähriger die hochtrabendsten philosophischen und kunsttheoretischen Essays verfasst, liebt eine lustige, weltkluge, dabei aber völlig ungebildete Schauspielerin und Tänzerin. Mit einiger Mühe bringt sie ihm das Küssen bei. Die beiden leben arm, aber glücklich zusammen. Sie tingelt, er arbeitet in einer Exportfirma. Damit er einen körperlichen Ausgleich zu seinem Bürojob hat, rät sie ihm, turnen zu gehen. Das tut er brav – und bald schon ist er an den Ringen so gut, dass er als Artist im Hippodrom auftritt – während sie, inzwischen schwanger geworden, in unverblümter Gassensprache einen Bericht über ihren Weg zur Bühne schreibt. Das Buch wird prompt ein Bestseller. Der Philosoph turnt, die Ballettratte schreibt – so dreht sich das Verhältnis um, doch bleibt das Glück den Verliebten hold.
Auf einen ganz anderen Ton als diese moussierend sentimentale Geschichte ist die Erzählung ›Myra lernt seine Eltern kennen‹ gestimmt. Wie einige weitere Texte, die Fitzgerald im Lauf der folgenden Jahre für die Saturday Evening Post schrieb, hat sie einen humoristischen Einschlag. Gleich zu Beginn wird uns Myra nicht als Individuum, sondern als Typus des leichtlebigen jungen Mädchens aus gutem Haus vorgestellt: »Eine Myra lebt von den Colleges an der Ostküste wie eine junge Katze von warmer Milch.« Sie ist der Schwarm aller Studenten. Man sieht sie im Biltmore-Foyer, im Theater, auf Abschlussbällen. Die besondere Myra, um die es im Folgenden geht, will den Millionärssohn Knowlson Whitney heiraten. Die Romanze beginnt, er verlobt sich schon bald mit ihr und lädt sie zu sich nach Hause ein. Doch es wird ein gespenstischer Empfang. Knowlsons Vater erweist sich als überdrehter Exzentriker, die Mutter lebt mit einundzwanzig Pudeln in einem Zimmer, das sie nie verlässt. Nachts geistert es im Haus, und bei einer Varietévorführung wird Myra zum Singen genötigt. Sie blamiert sich und will nur noch weg, doch durch einen Zufall findet sie heraus, dass der ganze bizarre Empfang eine Scharade ist. Knowlson hat Angst vor
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