Winterträume
Riviera glitzerte unter mir auf dem Meer. In der Ferne lag, gerade noch zu erkennen, Monte Carlo, und obwohl die Saison vorbei und kein einziger Großherzog, mit dem man sich im Glücksspiel hätte versuchen können, mehr anwesend war und E. Phillips Oppenheim sich als ein dicker, emsiger Mann entpuppt hatte, der im Bademantel in meinem Hotel lebte – war doch der Name allein so unverbesserlich bezaubernd, dass ich meinen Wagen anhalten musste und wie die Chinesen flüsterte: »Oja! Oja!« Nicht Monte Carlo war es, was ich sah. Vielmehr blickte ich zurück in das Herz jenes jungen Mannes mit den Pappkartonsohlen, der einst durch die Straßen New Yorks gelaufen war. Ich war wieder er – für einen Augenblick hatte ich das Glück, seine Träume zu teilen, ich, der ich keine eigenen Träume mehr hatte. Und noch immer gibt es Zeiten, da ich mich an ihn heranschleiche, ihn an einem Herbstmorgen in New York oder einem Frühlingsabend in Carolina überrasche, wenn es so still ist, dass man einen Hund in der Nachbarstadt bellen hört. Aber nie wieder so wie in jener allzu kurzen Phase, als er und ich dieselbe Person waren, als sich die verheißungsvolle Zukunft und die wehmutsvolle Vergangenheit in einem köstlichen Moment vermischten – als das Leben im wahrsten Sinne des Wortes ein Traum war.
Nachwort
von
Manfred Papst
Am 5. September 1940, ein Vierteljahr vor seinem Tod, schreibt F. Scott Fitzgerald einen Brief an seine Tochter Scottie. Stories, erklärt er ihr, schreibe man am besten in einem Zug oder, wenn es sich um längere Texte handle, an drei aufeinanderfolgenden Tagen, allenfalls mit einem zusätzlichen Tag für die Überarbeitung. Dann aber weg damit! Geschichten, deren Niederschrift sich in die Länge ziehe, läsen sich oft auch nicht flüssig.
Das war nicht einfach so dahingesagt. Bei den meisten der rund hundertsechzig Erzählungen, die Fitzgerald in seinem kurzen Leben verfasst hat, ist er genau nach dem von ihm definierten Prinzip verfahren. In einigen Fällen können wir den Prozess genau verfolgen. Beispielsweise bei der humoristischen Geschichte ›Eher geht ein Kamel…‹. Fitzgerald schrieb den rund dreißig Seiten umfassenden Text an einem einzigen Tag im Januar 1920. Wie er seinem Lektor Maxwell Perkins mitteilte, begann er um acht Uhr morgens. Um sieben Uhr abends war die Rohfassung fertig, um halb fünf Uhr morgens des folgenden Tages die Reinschrift, und diese war eine halbe Stunde später schon unterwegs an die Saturday Evening Post. Fitzgerald kassierte 500 Dollar für die Story. Das Geld diente ihm dazu, seine launische Geliebte und künftige Ehefrau Zelda Sayre (1900–1948) mit einer diamantverzierten Armbanduhr aus Platin zu überraschen.
F. Scott Fitzgerald war einer der meistgelesenen und höchstbezahlten amerikanischen Autoren seines Zeitalters, und sein kommerzieller Erfolg gründete in erster Linie auf seinen populären Stories, die er in verschiedenen Magazinen unterbrachte und für die er von Jahr zu Jahr höhere Honorare erzielte. Sein »Hauptbuch«, das er durch alle Höhen und Tiefen seiner stürmischen Karriere hindurch führte, legt Zeugnis davon ab. Doch der gefeierte Autor hatte ein ambivalentes Verhältnis zu seinen Erzählungen. Weil sie ihm so leicht von der Hand gingen, neigte er dazu, sie geringzuschätzen. Sein ganzer Ehrgeiz galt seinen Romanen. »Es ist seltsam, dass ich Zelda nie davon überzeugen konnte, dass ich ein erstklassiger Schriftsteller war«, notierte er später einmal in seinem Tagebuch. »Sie wusste, dass ich gut schrieb, aber sie erkannte nicht, wie gut. Als ich mich von einem erfolgreichen Geschichtenschreiber zu einem seriösen Schriftsteller mauserte, zu einem big shot, verstand sie mich nicht und versuchte nicht, mir zu helfen.«
Mit seinen insgesamt fünf Romanen tat Fitzgerald sich schwer. Schon Diesseits vom Paradies, sein gefeierter Erstling, zeigt zwar seine enorme Begabung als Erzähler, bleibt aber Flickwerk, ein Konglomerat aus Gedichten, Skizzen, Kurzgeschichten, Bruchstücken eines früheren Romans sowie einem vollständigen Einakter. Trotzdem schaffte der Dreiundzwanzigjährige mit diesem romantischen Entwicklungsroman den Durchbruch bei der Literaturkritik und beim Publikum (was zur Eroberung Zeldas entscheidend beitrug); 20000 Exemplare wurden in den ersten Wochen nach Erscheinen des Werkes verkauft.
Über etliche seiner gleichzeitig entstandenen Erzählungen hat Fitzgerald sich despektierlich geäußert, doch in dieser
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