Winterträume
Behältnis für einen Punsch, der eine wichtige geschäftliche Einladung des Paars zum Desaster werden lässt. Es nimmt den Brief auf, der den Soldatentod des Sohnes meldet, und es lässt sich nicht einmal ohne verhängnisvolle Folgen zerschmettern.
Das ist alles so melodramatisch und so dick aufgetragen, dass die Geschichte einem minderen Autor unweigerlich zum Kitsch geraten wäre. Aber Fitzgerald erzählt sie so elegant, dass man ihm selbst die aufgetürmte Symbolik abnimmt. Höhepunkt der Erzählung ist die Einladung der Geschäftsfreunde, zu welcher Evelynes Mann schon angetrunken erscheint. Wie Fitzgerald hier die Spannung aufbaut, ist meisterhaft. Der Leser spürt vom ersten Satz der Szene an, dass das Verhängnis kommen muss. Er fürchtet es und kann es doch nicht verhindern. Aber auch hier versteht Fitzgerald es, mit einem leichten Konversationston Distanz und Ironie zu signalisieren, wie schon der erste Abschnitt der Geschichte zeigt: »Es gab eine Altsteinzeit, eine Jungsteinzeit und eine Bronzezeit, und viele Jahre später gab es eine Kristallzeit. In der Kristallzeit setzten sich junge Damen, wenn sie junge Männer mit langen, geschwungenen Schnurrbärten überredet hatten, sie zu heiraten, einige Monate nach der Hochzeit hin und schrieben Dankesbriefe für all die Geschenke aus Kristallglas – Punschschüsseln, Fingerschalen, Wassergläser, Weingläser, Eisbecher, Pralinenteller, Karaffen und Vasen…«
In seinen frühen Erzählungen zeigt sich Fitzgerald immer wieder als intimer Kenner einer Jugendkultur im Aufbruch. Er schreibt über Highschools und Colleges, über Tanzpartys, erste Verliebtheiten und die großen Gefühle von Heranwachsenden. Was diese Geschichten auszeichnet, ist, dass er das Innenleben seiner Protagonisten – und vor allem seiner Protagonistinnen – ernst nimmt.
›Bernice’ Bubikopf‹ (die Story erschien 1920 in der Saturday Evening Post und brachte 500 Dollar ein) ist ein gutes Beispiel für dieses Verfahren. Bernice verbringt die Ferien bei ihrer Cousine Marjorie. Dort gilt sie zunächst als Mauerblümchen. Im Partyleben fühlt sie sich nicht wohl. Ihre Cousine erteilt ihr mit verletzender Herablassung Ratschläge, wie sie bei den jungen Männern am Ort Erfolg haben kann. Obwohl es ihr schwerfällt, beherzigt sie diesen Rat und wird nun in der Tat sehr rasch beliebt. Marjorie scheint ihr das zu gönnen – solange Bernice keine Konkurrenz für sie ist. Als Bernice jedoch im Begriff steht, Marjorie einen Verehrer auszuspannen, ist es aus mit der Freundschaft und weiblichen Solidarität. Arglistig redet die Cousine Bernice ein, sie sähe mit einem Bubikopf doch noch viel attraktiver aus als mit ihren langen Haaren. Aus den Tändeleien unter Halbwüchsigen wird unmerklich Ernst. Unter enormem Gruppendruck geht Bernice auf das Ansinnen ein – und manövriert sich damit ins Abseits. Sie wird für ihre neue Frisur nicht gelobt und geliebt, sondern ausgelacht, bedauert, geschnitten. Aber sie wächst an ihrer misslichen Situation und zahlt Marjorie ihre Teufelei mit gleicher Münze heim. Fitzgerald erzählt diese Geschichte souverän und süffig, mit quasi filmischen Mitteln – man beachte den »Zoom« zu Beginn des ersten Kapitels –, mit Witz, aber auch mit Sinn für das pathetische Lebensgefühl Halbwüchsiger.
Einen besonderen Reiz unter den frühen Erzählungen hat die Story ›Der Eispalast‹. Ihre Anlage erinnert an die Konstellation Scott/Zelda, übernimmt aber die weibliche Perspektive. Sally Carrol ist eine junge Schöne aus dem Süden, die gern in den Tag hineinträumt, wenn sie nicht gerade von einem jungen Mann aus ihrer Clique zum Schwimmen abgeholt wird. Stimmt es, dass sie mit einem aus dem Norden verlobt ist? Ja, sagt sie. Hier unten ist es nett, aber sie will nicht ewig hier klebenbleiben. Erst kommt ihr Verlobter Harry Bellamy sie im Süden besuchen, dann fährt sie für die Winterferien zu ihm in den Norden, wo seine Familie ihr mit der für diese Gegend offenbar typischen Steifheit begegnet. Sie fühlt sich fremd, reagiert empfindlich auf abfällige Bemerkungen über ihre Heimat. Nur im Gespräch mit einem jungen Literaturprofessor taut sie auf. Doch dann geht es durch Schnee und Kälte zum Winterfest in einem Eispalast. Dort verirrt sie sich im Labyrinth, ihr Fehlen fällt zunächst nicht auf, erst nach zwei Stunden wird sie völlig durchfroren und verzweifelt wiedergefunden. Die dramatische Episode macht ihr klar, dass sie mit Harry und dem Norden
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