Winterträume
einer übereilten Heirat bekommen und mit der Hilfe von Freunden sowie bezahlten Schauspielern beschlossen, Myra zu vergraulen (und nicht etwa nur auf die Probe zu stellen). Am anderen Morgen aber wird er schwach: Er gesteht ihr alles und bittet sie um Verzeihung. Sie willigt ein unter der Bedingung, dass er sie noch gleichentags heiratet. Er ist mit allem einverstanden, sie gehen zu einem Priester, den sie kennt, um gleich darauf nach Westen in die Flitterwochen zu fahren. Auf dem Bahnhof kehrt sie nochmals kurz um, um ihre vergessene Handtasche zu holen – und macht sich unbemerkt aus dem Staub: Der Priester war ein von ihr bestellter Mime, sie hat den Spieß umgedreht und Knowlson mit seinen eigenen Waffen geschlagen.
›Myra lernt seine Eltern kennen‹ ist eine reizvolle komische Erzählung vom Typus »Gauner gegen Gauner«, wobei die Sympathien des Autors eindeutig bei Myra liegen. Man könnte sich diesen Stoff gut in einer Verfilmung von Billy Wilder vorstellen. ›Der Riffpirat‹ (1920), ›Die unmögliche Figur‹ (1924) und ›Rags Martin-Jones und der Pr-nce of W-les‹ (ebenfalls 1924) leben von ganz ähnlichen Pointen. Es geht um die Zähmung von widerspenstigen Schönen – sei es durch eine inszenierte Entführung, den Auftritt eines vermeintlichen »Wilden« oder denjenigen angeblicher Prominenz. Stets erleben wir das Liebeswerben als eine Art von Kampf: Es geht darum, die Herablassung, Blasiertheit und »Coolness« der Angebeteten zu brechen.
Vergleicht man die vier hier erwähnten Geschichten, kommt man nicht umhin, Fitzgeralds routiniertes, ja fast schon stereotypes Vorgehen zu beobachten. Er wählt mehrfach den gleichen dramaturgischen Aufbau und die gleiche Pointe, lediglich die Kulisse wechselt. Bemerkenswerterweise aber schreibt Fitzgerald im unmittelbaren Umfeld dieser hübschen, virtuosen Harmlosigkeiten einige seiner bedeutendsten Erzählungen – und zwar in den unterschiedlichsten Genres.
Im Komischen zum Beispiel. ›Eher geht ein Kamel…‹ ist eine von Fitzgeralds lustigsten Geschichten. Sie dreht sich um einen Kostümball. Als Perry Parkhurst – achtundzwanzig, Jurist, schöne Zähne, Harvard-Diplom, Mittelscheitel – sich in letzter Minute entscheidet, an ihm teilzunehmen, hat er gerade einen Riesenkrach mit seiner Geliebten Betty Medill hinter sich, weil diese sich nicht entschließen kann, ihn zu heiraten. In der Folge betrinkt er sich tüchtig. Viel zu spät klopft er beim Kostümverleih an. Alle einschlägigen Masken und Verkleidungen zum vorgegebenen Thema »Zirkus« sind längst weg. Nur ein Kamelkostüm für zwei Personen ist noch zu haben. Percy überredet seinen Taxifahrer, gegen Schnaps und Dollars als sein »Hintermann« einzuspringen. Der Coup gelingt. Das tapsige Tier, das sich bewegt wie eine Ziehharmonika, macht Furore auf der Party – vor allem beim Tanzen und Flirten mit einem umschwärmten weiblichen, als Schlangenbeschwörerin verkleideten Gast. Prompt werden die beiden mit den Hauptpreisen ausgezeichnet und vom Maître de Plaisir in einer heiteren Szene miteinander verheiratet. Als die Identitäten der Verkleideten gelüftet werden, erweist sich, dass sich hinter ihnen niemand anders verbirgt als das zerstrittene Paar Perry und Betty. Das führt zunächst zu einem Eklat. Doch dabei bleibt es nicht. Als auch der Hinterteil des Kamels Ansprüche auf die empörte Schöne geltend macht, kommt es in einer überraschenden Volte zum Happy End.
In dieser in New Orleans entstandenen Erzählung zeigt sich Fitzgerald auf der Höhe seiner humoristischen Kunst. Nie waren seine Dialoge schneller und beschwingter. Augenzwinkernd spielt er mit seiner Rolle als auktorialer Erzähler. Er behauptete zwar, er sei nicht besonders stolz auf diese Geschichte; immerhin aber wurde sie als erster seiner Texte in die Serie der »O. Henry Prize Stories« aufgenommen und zur Verfilmung verkauft.
In unmittelbarer Nachbarschaft zu diesem Kabinettstück entsteht eine Erzählung, die Fitzgerald von einer ganz anderen Seite zeigt: nämlich als (ironisch distanzierten) Moralisten. ›Die Kristallschüssel‹ handelt von einem fatalen Gefäß. Evelyne Piper hat es einst von einem verschmähten Liebhaber geschenkt bekommen mit den Worten, es sei »ebenso hart und schön und leer und leicht zu durchschauen« wie sie selbst. Und tatsächlich bringt es ihr nichts als Unglück. Es verrät einen heimlichen Verehrer. An seinen scharfen Kanten verletzt sich das Töchterchen schwer. Es dient als
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