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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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gequetscht wie ein grotesker Gott, hockte Carlyle.
    »Ich will ja hier nicht die Pollyanna spielen«, fing sie an, »aber Sie haben mich immer noch nicht richtig verstanden. Mein Mut ist Glaube – Glaube an die ewige Unverwüstlichkeit meiner selbst – daran, dass die Freude irgendwann zurückkehrt – und die Hoffnung und die Spontaneität. Und bis es so weit ist, das spüre ich, muss ich die Lippen fest geschlossen halten und das Kinn hoch emporrecken und die Augen weit offen halten – albern zu grinsen ist dabei nicht zwingend nötig. Oh, ich bin durch die Hölle gegangen, mehr als einmal, ohne zu jammern – und die weibliche Hölle ist tödlicher als die männliche.«
    »Und was, wenn nun der Vorhang für Sie bereits runtergeht – ich meine, endgültig –, bevor die Freude und die Hoffnung und so weiter zurückgekehrt sind?«, wandte Carlyle ein.
    Ardita stand auf, ging zur Felswand und kletterte mit einiger Anstrengung auf den nächsten stufenartigen Vorsprung, der noch einmal drei, vier Meter höher lag.
    »Na was schon?«, rief sie zurück. »Dann hätte ich gewonnen!«
    Er beugte sich so weit nach vorn, dass er sie sehen konnte.
    »Von da oben sollten Sie aber lieber nicht springen! Da brechen Sie sich nämlich das Kreuz«, sagte er rasch.
    Ardita lachte.
    »Ich doch nicht!«
    Sie breitete langsam die Arme aus, stand da wie ein Schwan und strahlte in ihrer jugendlichen Vollkommenheit einen Stolz aus, der Carlyle das Herz wärmte.
    »Weit die Arme ausgebreitet, durchschreiten wir die schwarzen Lüfte«, rief sie, »strecken nach hinten aus die Beine wie der Delphin die Schwanzflosse und denken uns im Stillen, dass wir dieses Silber dort drunten nie erreichen werden, bis wir auf einmal warm von allen Seiten davon umfangen sind und lauter kleine Wellen küssend uns liebkosen.«
    Und damit war sie in der Luft. Carlyle hielt unwillkürlich den Atem an. Ihm war nicht klar gewesen, dass der Sprung weit über zehn Meter in die Tiefe ging. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis er das kurze, satte Klatschen hörte, mit dem sie eintauchte.
    Und in dem Moment, als ihr leichtes, nasses Lachen seitlich am Riff heraufgeweht kam und an seine besorgten Ohren drang und er zugleich sein eigenes frohes, erleichtertes Seufzen vernahm, in dem Moment wurde ihm klar, dass er sie liebte.
    VI
     
    Die Zeit, die keine Hühnchen rupft und keine Süppchen kocht, sie überschüttete die beiden mit drei Tagen Nachmittag. Wenn die Sonne eine Stunde nach Tagesanbruch das Bullauge ihrer Kabine zum Funkeln brachte, stand Ardita fröhlich auf, zog ihren Badeanzug an und ging hinauf an Deck. Sobald die Schwarzen sie erblickten, ließen sie ihre Arbeit sein, versammelten sich lachend und schwatzend an der Reling und schauten zu, wie sie flink wie eine Elritze auf der klaren Wasserfläche oder auch unter Wasser dahinschoss. Und in der Abendkühle ging sie dann noch einmal schwimmen – und lümmelte, mit Carlyle Zigaretten rauchend, auf dem Riff herum; oder sie lagen am Südstrand im Sand, sprachen wenig und schauten zu, wie der Tag mit üppigem Farbenspiel und tragischer Attitüde hinüberglitt in die unendliche Melancholie einer tropischen Nacht.
    Und mit den langen, sonnigen Stunden verflüchtigte sich auch Arditas Vorstellung, das Ganze sei nur eine zufällige, verrückte Episode, ein romantisches Frühlingsmärchen im öden Einerlei der Wirklichkeit. Sie hatte schon Angst vor der Zeit, wenn er sich auf den Weg gen Süden machen würde; sie hatte Angst vor all den Eventualitäten, die auf sie einstürmten; plötzlich waren Gedanken sorgenvoll, Entscheidungen verhasst. Wäre in ihrer von heidnischen Ritualen erfüllten Seele Raum gewesen für Gebete, sie hätte darum gebetet, dass das Leben doch nur einmal eine Zeitlang unbehelligt bleiben möge, träge genug, um sich dem rasch dahineilenden, naiven Strom von Carlyles Ideen zu fügen, seiner lebhaften Knabenphantasie und dieser Ader von Besessenheit, von der sein Naturell durchzogen war und die sein ganzes Handeln färbte.
    Aber das hier ist weder eine Geschichte von zwei Leuten auf einer Insel, noch geht es hier in erster Linie um eine Liebe, die aus Abgeschiedenheit geboren wird. Es handelt sich vielmehr um die Beschreibung zweier Charaktere, und die idyllische Kulisse und dass die Palmen des Golfstroms die Umrahmung bilden, all das ist ist reiner Zufall. Die meisten von uns sind froh, dass sie am Leben sind und sich vermehren, und kämpfen für das Recht auf diese beiden Dinge; die

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