Winterträume
doch einfach die Klappe!«
Es entstand eine Pause, die Carlyle ziemlich unbehaglich fand, was Ardita freilich gar nicht zu bemerken schien, denn sie saß ganz zufrieden da, ließ sich ihre Zigarette schmecken und schaute auf das glänzende Meer. Und im nächsten Moment krabbelte sie hinaus auf den Felsen, legte sich auf den Bauch und guckte in die Tiefe. Carlyle, der sie beobachtete, wunderte sich, wie graziös sie war, und das buchstäblich in jeder Lebenslage.
»Oh, gucken Sie doch mal, da unten!«, rief sie. »Diese Felsvorsprünge da, das sind ja richtige Stufen. Ganz breit und alle in verschiedenen Höhen.«
Er legte sich neben sie und sah mit ihr zusammen an der schwindelerregend steilen Wand hinunter.
»Heute Nacht gehn wir schwimmen!«, sagte sie aufgeregt. »Im Mondenschein.«
»Wolln Sie nicht lieber vom Strand aus ins Wasser gehn, drüben auf der andern Seite?«
»Kommt gar nicht in Frage. Hechtsprung ist meine Leidenschaft. Sie können den Badeanzug von meinem Onkel nehmen, allerdings sehn Sie da drin wahrscheinlich aus, als ob Sie ’n Jutesack anhaben, mein Onkel ist nämlich sehr schwabbelig. Ich hab so ’n Einteiler, damit hab ich schon an der gesamten Atlantikküste von Biddeford Pool bis runter nach St. Augustine die Eingeborenen geschockt.«
»Ich schätze mal, Sie sind ’ne echte Sportskanone.«
»Ja, ich bin ’ne ziemlich gute Schwimmerin. Und hübsch bin ich auch. Letzten Sommer hat ein Bildhauer oben in Rye zu mir gesagt, meine Waden sind fünfhundert Dollar wert.«
Darauf schien sich jede Antwort zu erübrigen, weshalb Carlyle es vorzog, zu schweigen, und sich lediglich erlaubte, stillvergnügt in sich hineinzulächeln.
V
Als sich die Nacht in Schattenblau und Silbergrau herniedersenkte, ruderten sie durch die enge, schimmernde Wasserrinne, banden das Boot an einem Felsvorsprung fest und kletterten zusammen das Riff hinunter. Die erste von den breiten Stufen, die sie von oben gesehen hatten, befand sich in drei Meter Höhe und bildete so etwas wie ein natürliches Sprungbrett. Dort setzten sie sich im hellen Mondlicht nieder und schauten hinab in die schwache, doch noch immer unermüdliche, wenn auch der einsetzenden Ebbe wegen allmählich schwächer werdende Brandung.
»Sind Sie glücklich?«, fragte er unvermittelt.
Sie nickte.
»Am Meer immer. Wissen Sie, was?«, fuhr sie fort. »Ich denke schon den ganzen Tag darüber nach, dass wir uns irgendwie ähnlich sind, Sie und ich. Wir sind beide Rebellen – nur aus unterschiedlichen Gründen. Vor zwei Jahren, ich war gerade achtzehn geworden, und Sie waren…«
»Fünfundzwanzig.«
»…na ja, da waren wir doch im herkömmlichen Sinne beide sehr erfolgreich. Ich als absolut umwerfende Debütantin und Sie als gefragter Musiker, der soeben eine Festanstellung bei der Army bekommen hatte…«
»Gentleman per Kongressbeschluss«, warf er spöttisch ein.
»Also, jedenfalls haben wir uns beide untergeordnet. So richtig abgeschliffen waren unsere Kanten vielleicht noch nicht, aber zumindest hatten wir sie eingezogen. Tief im Innern aber war bei uns beiden irgendwas, das ließ uns nach mehr Glück verlangen. Ich wusste nicht, was es war, das mir fehlte. Ich ging von einem Mann zum andern, rastlos, ungeduldig, fügte mich von Monat zu Monat immer weniger und wurde immer unzufriedener. Manchmal saß ich da und kaute mir auf den Backentaschen rum und dachte, ich werd verrückt – ich hatte das beängstigende Gefühl, dass alles so entsetzlich flüchtig ist. Ich wollte alles jetzt sofort –jetzt – jetzt! Da stand ich nun mit meiner Schönheit – und ich bin doch wirklich schön, oder etwa nicht?«
»Doch«, stimmte Carlyle versöhnlich zu.
Ardita stand unvermittelt auf.
»Moment mal, warten Sie. Ich will dieses herrlich aussehende Meer probieren.«
Sie trat an die äußerste Kante des stufenartigen Felsvorsprungs, und gleich darauf schoss sie hoch über dem Wasserspiegel dahin, rollte sich in der Luft zusammen und überschlug sich, streckte sich dann zu voller Länge aus, tauchte schließlich kerzengerade ins Wasser ein und hatte einen perfekten Hechtsprung hingelegt.
Eine Minute später wehte ihre Stimme zu ihm herauf.
»Verstehen Sie, ich hab bloß noch gelesen, den ganzen Tag und fast die ganze Nacht. Mit der Zeit hab ich schon jegliche Geselligkeit gehasst…«
»Kommen Sie wieder rauf«, unterbrach er sie. »Was, um alles in der Welt, machen Sie denn da unten?«
»Ich lass mich einfach auf dem Rücken treiben. Bin
Weitere Kostenlose Bücher