Winterwelt (Sommer-Sonderpreis bis zum 06.08.2012!) (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
Hand beiseite und erkannte, dass sie sich verletzt hatte. Ein spitzer Zweig musste sie gestreift und ihre Haut aufgeritzt haben.
Arrow fiel auf, dass die Blitze seltener und schwächer wurden. Die Dunkelheit war nicht mehr länger undurchdringlich. Inzwischen fielen auch wieder dicke Schneeflocken.
Es musste schon eine ganze Weile geschneit haben, denn auf ihren Knien versank sie beinahe im Schnee.
Um herauszufinden, aus welcher Richtung sie gekommen war, suchte Arrow nach ihren Spuren. Langsam erhob sie sich vom Boden, und als sie sicher war, drehte sie sich, um ihren Weg fortzusetzen. Doch auch an diesem Ort war sie nicht länger allein. Ihr stockte der Atem. Unzählige gruselige Gestalten umgaben sie und starrten sie ausdruckslos an. Wie glitzernde Nebelschwaden verharrten sie vor Arrow und sie waren überall – unter ihr, über ihr und neben ihr. Es schien, als bildeten sie eine sie umgebende Blase. Ihr Gesichtsausdruck wirkte kühl und emotionslos, als wären sie tot. Und das war auch alles, woraus sie bestanden – Gesichter ohne Körper, die genauso nebelverhangen aussahen wie die Gestalt ihres Vaters. Einzig die Größe dieser Gestalten unterschied sich von der ihres Vaters. Während sein Gesicht so groß wie Arrow selbst war, hatten diese Gesichter gerade eine normale Größe. Allerdings regte sich rein gar nichts in ihnen.
Eilig betrachtete Arrow jedes der Gesichter. Melchior war nicht unter ihnen.
Nun, da sie entdeckt worden war, machte es wenig Sinn, wenn sie versuchen würde, zu entkommen.
Sie zitterte am ganzen Körper und jeder Atemzug, den sie machte, stieß Reif hervor. Du musst einen kühlen Kopf bewahren, beschwor sie sich selbst.
Arrow schloss die Augen, um sich zu konzentrieren. Langsam atmete sie tief ein und dann traf es sie wie ein Blitz. Entschlossen öffnete sie ihre Augen wieder. „Ich werde nicht kampflos aufgeben“, sagte sie und stürmte los – mitten durch die Kreaturen, die die ganze Sicht vernebelten. Eilig rannte sie durch den Wald, ohne die geringste Ahnung zu haben, wo genau sie sich befand. Es schneite immer mehr und sie musste die Hand schützend vor ihre Augen halten, um den Weg beibehalten zu können.
Sie fragte sich, ob die Kreaturen sie wohl verfolgen würden, und riskierte einen Blick über die Schulter, was sie sofort bereuen sollte. Jetzt wurde sie allein von Angst getrieben. Panik stieg in ihr auf und wurde so stark, dass sie nichts Anderes mehr fühlen konnte. Denn die Gespenster waren dicht hinter ihr und es waren weit mehr, als es gerade noch den Anschein hatte. Zu Tausenden verfolgten sie sie und machten sie zur Gejagten.
Ohne sich noch einmal umzudrehen, rannte sie weiter und weiter. Sie keuchte inzwischen so laut, dass man sie durch den ganzen Wald hätte hören müssen, und schließlich gaben ihre Beine nach.
Dort lag sie nun und starrte zu Boden. Nach Luft ringend wartete sie förmlich darauf, dass es endlich ein Ende nahm, dass sie nach ihr schnappten, sie fortschleppten und ihr grausame Dinge antaten. Sie verharrte eine ganze Weile in dieser Position, starr vor Angst. Doch nichts geschah. In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass auch Warten und Ungewissheit mit zu den schlimmsten Formen der Qualen zählten. Zu der Angst, die bis dahin als einziges Gefühl ihren Körper durchzog, kam jetzt auch Wut. Wie lange soll das noch so gehen?, fragte sie sich. Vielleicht bis ich vor Kälte und Hunger gestorben bin?
Wie sie da so lag, fühlte sie sich lächerlich und machte sich Vorwürfe. Mit ihrem Verhalten hatte sie nichts erreicht. Sie hatte das Laken verloren und damit Keylam. Auch die anderen hatte sie in Gefahr gebracht, denn sie hatte ein Fenster geöffnet – eines der dümmsten Dinge, die man tun konnte, wenn Frau Perchta ihre Geister und Dämonen in die Welt entsandte. Und sie hatte ihren Vater verloren – zum zweiten Mal. Für all das sollte sie jetzt bis in alle Ewigkeit unendliche Qualen in Perchtas Reich erleiden. Das war wohl nur fair, da alle Selbstvorwürfe und Schuldzuweisungen sich selbst gegenüber das alles niemals wieder gutmachen würden. Aber was bedeutete das eigentlich? Kann man denn wirklich durch eigene Qualen etwas wieder gutmachen, das man selbst anderen angetan hat? Dem Verursacher gibt es vielleicht das Gefühl, dass es so ist, doch die Opfer werden trotzdem immer Opfer bleiben und nie vergessen, wie sehr sie gelitten haben, dachte sie. Vermutlich werden sie auch nie etwas von dem Schmerz erfahren oder auch nur erahnen, den
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