Winterwelt (Sommer-Sonderpreis bis zum 06.08.2012!) (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
Arrow hatte etwas entdeckt. Schockiert heftete sie ihren Blick auf die Wand hinter ihrer Großmutter. Das Bild einer Frau kam zum Vorschein. Ihr Kopf war nur zur Hälfte vom Ruß befreit, doch die Statur und die langen weißen Haare ließen Arrow das Schlimmste befürchten.
Angespannt eilte sie hinüber und lüftete das Geheimnis. Sie rubbelte so intensiv, dass sogar einige Farbkrümel abplatzen und das Bild zu zerstören drohten. Als Arrow fertig war, ließ sie entsetzt den Lappen fallen.
Wie vor einem Spiegel stand Rose vor der Wand und betrachtete ihr Abbild.
„Die Zeichnungen sind also schon einige hundert Jahre alt? Und wenn ich mich recht erinnere, ist der Brand schon viele Jahre her. Und obwohl ein Mensch nicht annähernd ein Alter von einhundert Jahren erreicht, so gibt es dennoch Bilder von euch allen, die wesentlich älter sind?“ Wie Arrow es sagte, klang es nach einem einzigen großen Vorwurf. Als sie fortfuhr, versuchte sie ruhig zu klingen, doch in ihrem Gesicht zeigte sich, dass sie innerlich kochte. „Wenn ich noch eine Ausrede höre oder wenn irgendjemand auf die Idee kommt, mir zu sagen, dass mich irgendetwas nichts angeht, dann schreie ich das ganze Schloss zusammen. Ich will auf der Stelle wissen, was hier los ist. Wer ist hinter mir her? Was hat mich da gestern Abend verfolgt?“
Rose wollte gerade zu einem letzten vergeblichen Versuch ansetzen, die Situation zu retten, doch sie erkannte, dass es längst zu spät war. Mit zitternder Stimme antwortete sie: „Deine Vergangenheit.“
Es war, als hätte Arrow die Antwort gewusst. Seit dieser Begegnung war sie ruhelos und nun war die Zeit für ein zweites Treffen gekommen.
„Arrow warte!“, rief Keylam ihr noch hinterher. Doch es war zu spät. In dem Moment, da Rose es ausgesprochen hatte, kehrte sie der Gegenwart den Rücken zu und ging ihrer Vergangenheit entgegen.
„Lass sie gehen“, redete Rose auf Keylam ein.
„Aber wir haben sie nicht über die Gefahren aufgeklärt. Sie hätte wissen müssen, dass der Tod auf sie lauert!“
„Das wissen wir nicht. Es ist nur die schlimmste Befürchtung. Außerdem glaube ich nicht, dass sie diesen Teil unseres Gespräches versäumt hat. Ich habe es in ihren Augen gesehen. Ihre Zukunft wird sich jetzt entscheiden.“
„Ihre Zukunft oder ihr Ende?“, erwiderte Keylam aufgebracht und verschwand.
Ein neues Leben mit alten Erinnerungen
Ein Blick nach draußen verriet Arrow, dass der Winter zurückgekehrt war und stündlich an Macht gewann. Sie zog den dicksten Mantel an, den sie finden konnte, und schnappte sich das Schwert, welches über dem Kamin hing. Zwar hatte sie keine Ahnung, wie man damit umging oder ob es überhaupt nach all den Jahren noch zu gebrauchen war, doch sie konnte sich später immer noch davon trennen.
Ohne sich zu verabschieden, brach sie auf.
Arrow ging einfach in den Wald. Die Leute, die ihr im Dorf noch über den Weg liefen, grüßte sie nicht einmal mehr. Sie hatte nur noch ein Ziel vor Augen.
Das Schneetreiben wurde immer dichter, doch glücklicherweise war es windstill. Vorsorglich setzte sie ihre Kapuze auf und band sich den Schal um den Mund. Dieses Wetter ließ einem schnell die Gliedmaßen steif frieren.
Arrow wusste, dass sie sich hätte fürchten müssen, doch sie blieb ganz ruhig. Während sie immer tiefer in den Wald ging, fragte sie sich allerdings, ob sie nicht hätte mit Rose reden sollen. Vielleicht war es unfair gewesen, ihr einfach so den Rücken zuzukehren. Tatsache war jedoch, dass sie irgendetwas über sie wusste, was sie ihr verheimlicht hatte – aus welchen Gründen auch immer. Doch Rose musste es doch besser wissen als jeder andere Mensch, wie wichtig es für Arrow war, sich erinnern zu können. Und trotzdem war sie nicht ehrlich zu ihr gewesen.
Viele Gedanken schossen Arrow durch den Kopf. Zum Schluss blieben sie bei Keylam hängen. Als sie aufgewacht war, war er der Erste gewesen, der da war, und am Abend zuvor hatte er äußerst besorgt gewirkt. Aber warum? Er war nicht der Mann auf dem Ball gewesen – soviel stand fest. Trotzdem war der Wunsch, dass er es doch war, noch immer präsent und wurde stärker – je mehr sie darüber nachdachte.
Die Gedanken erloschen. Arrow blieb stehen.
Es war da. Sie hatte nichts gehört und verspürte auch keine Schmerzen, aber sie fühlte es und es war seltsam. Sie hätte vor Angst verrückt werden müssen, doch das passierte nicht. Nicht annähernd.
Die Anspannung war groß. Sie fieberte
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