Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
schwer beladenen Wagens lenkte seine Aufmerksamkeit auf den Fahrweg, der dem Talboden folgte. Zwei Pferde mühten sich unter den Peitschenhieben mehrerer Tarbain, einen flachen Karren über den holprigen Grund zu ziehen. Auf dem Gefährt befand sich ein Käfig mit einem riesigen Bären, der hin und her schwankte und dabei zornig vor sich hin brummte.
»Sicher für Burg Hakkan bestimmt«, meinte Theor. Er seufzte und schüttelte unmerklich den Kopf.
»Ihr missbilligt das?« Ragnor beobachtete die Bestie in ihrem Käfig.
»Dieses Bärenködern beim Tod eines Herrschers ist ein Relikt des Tarbain-Glaubens aus den Zeiten vor unserer Ankunft, als der Bär das Symbol ihrer Stammeshäuptlinge war. Soll die Barden-Inkall es etwa gutheißen, dass dieser Brauch von einem Haus des Pfads übernommen wurde?«
Der Karren schaukelte heftig, als eines seiner Räder in eine tiefe Furche geriet. Der Bär brüllte laut. Seine Tarbain-Bewacher schrien ihn an und schlugen mit den Speeren gegen die Gitterstäbe.
»Das hat heute nichts mehr zu bedeuten«, sagte Ragnor. »Eine Zerstreuung für Säufer, die bei der Leichenfeier ein paar Gläser zu viel getrunken haben. Und nicht die schlechteste Zerstreuung. Habt Ihr die Hunde gesehen, die sie hier züchten, Barde? Bösartig. Die könnten es sogar mit diesen Ungeheuern aufnehmen, die Eure Jäger-Inkall züchtet. Dennoch – der Bär sieht aus, als werde er nicht wenige seiner Häscher mit in den Tod nehmen.«
Die schwarzfleckigen Lippen des Inkallim kräuselten sich verächtlich. »Was immer dabei herauskommt – es ist eine schreckliche Unsitte. Angain hat uns verlassen, um in einer besseren Welt wiedergeboren zu werden und nicht etwa auf irgendeinem Berg, der von Bärengeistern bewacht wird. Es fällt uns schwer genug, die Tarbain aus dem Dunkel ihrer Unwissenheit zu holen. Da müssen nicht noch unsere Thane ihre barbarischen Riten übernehmen.«
Ragnor schnaubte. »Wir sind jetzt alle Tarbain, Theor.«
Theor sah den Hoch-Than finster an. »In meinen Adern fließt kein Tropfen Tarbain-Blut. Das Gleiche gilt für Euch.«
»Wenn Ihr meint, Hüter der Mythen und Legenden. Dann wären wir beide Abkömmlinge der einzigen reinblütigen Linien im Norden. Aber ist das so wichtig? Fane und Wyn, ja, sogar mein eigenes Haus zählen viele Tarbain zu den Gefolgsleuten, die ihnen den Treueid geschworen haben. Selbst in meiner Leibgarde dienen Leute, die zum Teil von Tarbain abstammen. Und Ihr wisst so gut wie ich, dass der Mann, den wir eben zur letzten Ruhe betteten (möge er verrotten und nie wieder erwachen)« – er sah, wie Theor bei der Floskel angewidert zusammenzuckte –, »mehr als nur einen Hauch der Wildnis in sich hatte. Seine Großmutter war in Bezug auf Männer nicht allzu wählerisch, wie es hieß. Ohne die Blutauffrischung durch die Eingeborenenstämme bestünde unsere Rasse mittlerweile nur noch aus Missgebildeten und Kretins. Und wenn ich sehe, was manche meiner Vasallen an Nachkommen gezeugt haben, frage ich mich, ob das gereicht hat.«
Theor holte Luft für eine scharfe Antwort, überlegte es sich dann aber anders und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Bären zu.
»Vielleicht habt Ihr recht«, sagte er. »Es gibt ohnehin nur noch wenige Tarbain, die nicht das Knie vor Euch beugen. Die meisten sind bekehrt.«
»Das ist wahr.« Ragnor holte einen Flachmann aus den Tiefen seines schweren Umhangs und entstöpselte ihn. Er nahm einen tiefen Schluck, wischte sich zufrieden den Mund ab und wollte die Flasche an Theor weiterreichen. Der Barde lehnte ab.
»Wie Ihr wollt«, murmelte der Hoch-Than. »Hilft hervorragend gegen die Kälte, das Zeug. Begleitet Ihr mich ein Stück? Die anderen wagen es nicht, zur Burg zurückzukehren, solange wir uns nicht in Bewegung setzen, obwohl sie in Gedanken bereits beim Leichenschmaus sind. Ich möchte nicht, dass sie sich Frostbeulen holen.«
Sie gingen Seite an Seite, der Herr über die Gyre-Geschlechter und der Herr über die Inkallim, und die übrigen Trauergäste folgten ihnen wie eine gut gedrillte Soldatenschar. Die Schildwache des Hoch-Thans achtete darauf, dass ein Respektabstand eingehalten wurde und die hohen Herrschaften ungestört blieben. Drunten am Fuß des Berghangs folgte der Wagen mit dem Bärenkäfig einer parallelen Fahrspur zur Festung, wo dem Raubtier ein blutiges Ende bevorstand.
»Ihr wart eine ganze Weile mit Vana in der Katakombe«, meinte der Hoch-Than nachdenklich.
»Wir führten ein längeres Gespräch«,
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