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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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fasste, um ihn besser festhalten zu können, spürte sie den Pfeilschaft, der ihm aus dem Rücken ragte. Tränen der Verzweiflung brannten ihr in den Augen. Er war zu schwer für sie.
    »Steh auf!«, schrie sie ihn an. »Steh auf, Inurian! Wir müssen weiter.«
    Sie hörte ein Spritzen. Es klang, als sei jemand in den Fluss gesprungen.
    Er richtete sich auf, lehnte sich an ihre Schulter. Sein Kopf hing schlaff nach vorn. Irgendwie gelang es ihr, ihn vorwärtszuschieben. Sie taumelten über die Felder. Anyara hatte keine Ahnung, wohin sie gingen, aber sie wusste, dass sie in Bewegung bleiben mussten. Wenn sie sich nicht bewegten, mussten sie sterben.
    »Sie ist nahe«, flüsterte Inurian, und er hauchte einen Namen, den Anyara nicht verstand.
    »Nicht stehen bleiben!«, bettelte sie. Sein Gewicht nahm mit jedem Schritt zu. Sie war nicht sicher, wie lange sie ihn noch stützen konnte.
    Sie wandte den Kopf und entdeckte sie. Sie kamen aus der Nacht. Es waren Kyrinin. Der nächste Schritt. Nicht anhalten, dachte Anyara.
    Um ein Haar hätte sie laut geschrien, als dicht vor ihr zwei Gestalten lautlos aus der Finsternis auftauchten. Ein Mann und eine Frau. Keine Menschen. Kyrinin. Schleiereulen, dachte sie, die es irgendwie geschafft hatten, sie zu überholen, und nun auf sie warteten. Aber die Flut von Eindrücken, die sie auffing, sagte ihr, dass das nicht stimmen konnte. Schnitt und Form ihrer Gewänder waren anders als bei den Schleiereulen, die sie in Anlane gesehen hatte. Und als sie die Bogen mit den bereits aufgelegten Pfeilen hoben, zielten sie nicht auf Anyara und Inurian, sondern auf die Jäger, die sie verfolgten.
    »Hinlegen«, sagte die Frau. Anyara warf sich zu Boden und riss Inurian mit, als in beiden Richtungen Pfeile durch die Luft surrten. Die beiden Kyrinin rannten vorwärts, ihren Verfolgern entgegen. Dann vernahm sie erneut Schritte von vorn.
    »Anyara?«, sagte jemand. Sie hörte die Stimme, aber sie traute ihren Ohren nicht. Sie schaute auf. Ein Koloss von einem Mann rannte vorbei, das blanke Schwert in der Hand, gefolgt von einer kleineren Gestalt. Sie schrie auf, erleichtert und erlöst, schnellte hoch und warf sich in Orisians Arme.
    IX
    Die Hände von Kanin nan Horin-Gyre, die eben noch vor Staunen über den errungenen Sieg gezittert hatten, ballten sich nun in mühsam beherrschtem Zorn. Zu dieser Stunde hätte er in der Großen Halle von Burg Anduran sein sollen; sie alle hätten dort sein sollen, zur Feier des Tages, an dem die Glaubensfeinde eine vernichtende Niederlage erlitten hatten und der Schwarze Pfad endlich wieder über die Ländereien gebot, die einst Avann oc Gyre gehört hatten. Ein Siegesfest in den Sälen von Anduran sollte die Hoffnungen von Tegric und seiner hundert Krieger erfüllen, die sich auf dem Marsch ins Exil geopfert hatten; die Hoffnungen von Generationen Glaubenstreuer; vor allem aber die Hoffnungen von Kanins Vater. Noch hatten sie ihr Ziel nicht erreicht, aber sie waren dem Kall einen großen Schritt näher gekommen – der Zerstörung dieser sündigen Welt und dem Neuanfang unter der Herrschaft des rechten Glaubens.
    Stattdessen … stattdessen stand Kanin da und bedachte die Kriegerin, die eingeschüchtert vor ihm stand, mit wütenden Blicken. Sie gehörte zu den Besten seiner Schildwache und hatte deshalb den Auftrag erhalten, Anyara und den Na’kyrim vom Kerker auf die Burg zu bringen. Der Weg war in kurzer Zeit zurückzulegen.
    »Die Tarbain befinden sich in eurer Gewalt?« Kanin presste die Worte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
    »Zwei fanden den Tod. Die Übrigen haben wir.« Sie sprach ruhig, mit gesenktem Blick.
    »Ich will, dass ihre Köpfe noch vor Tagesanbruch auf Stangen über dem Gefängnis aufgepflanzt werden!«, knurrte Kanin.« Aber das können andere erledigen. Du … du bist entlassen. Aus meiner Garde, meinem Heer. Du begibst dich zu Fuß zurück nach Hakkan, kniest vor meiner Mutter nieder und sagst ihr, dass du ihr auf meinen Befehl hin als Kammerzofe und Wäscherin dienen sollst.«
    Er musste die Frau nicht zum Gehen auffordern. Stumm verließ sie den Raum.
    Kanin ließ sich schwerfällig auf den einzigen Stuhl sinken, der sich noch in dem kleinen Gemach hoch im Wohnturm von Burg Anduran befand, und hieb mit der Faust auf die Tischplatte. Sein Zorn wurde davon kaum geringer. Rastlos sprang er wieder auf. Er hatte dem Vater bei seinem Leben geschworen, das Haus Lannis zu vernichten. Nun machten ihn ein Mädchen und die Blödheit

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